Aus dem Archiv: Reise nach Kythera 8 – Von Eisvögeln und Erdbeben (12.10.2013)

Talassa

Weil ich gerade wieder sehr viel an Griechenland und die Griechen denke – hier ein kleiner Auszug aus meinem „Feldforschungs-Blog“ von 2013:

Die Eisvögel sind wieder da!“ So hat es mir gestern morgen stolz und mit freudvollem Grinsen ein kleiner Junge verkündet als ich auf der Suche nach meinem Kugelschreiber auf der kleinen Mole des Fischerhafens von Diakofi umherirrte. Da „Eisvogel“ nicht zu meinem gängigen Griechischen Wortschatz gehört (der ist eher für so lebensnotwendige Dinge wie tanken, essen, Rechnungen, Entschuldigungen und Waschmittel reserviert ;-)) hab ich zuerst nicht verstanden was der kleine Dreikäsehoch von mir wollte.

Doch ein rascher Blick in Richtung der aufgeregt hin und herwedelnden Ärmchen machte sofort klar, was der Kleine mir mit glänzenden Augen versuchte zu erklären: Gleich zwei der schillernden Juwelen der Lüfte hatten sich – einfach so, und ohne sich um die etwas triste Umgebung zu kümmern – auf den weiß-rot gestrichenen Reelings der kleinen hölzernen Fischerboote niedergelassen und versuchten nun indem sie laut pfeifend hin und herflogen einige kleine Fische aus dem türkisfarbenen Wasser zu fischen.

Es brauchte wohl diesen optischen Schlüsselreiz um dann doch noch den entscheidenden „Klick“ in meinem klassisch gebildeten Hirn auszulösen. Genauer: wie (fast) immer in Griechenland gibt es selbstverständlich auch für das winterliche Auftauchen von Eisvögeln eine passende antike Sage: Ceyx Gemahl von Halcyone, Tochter des Windgottes Äolus, fuhr eines Tages über das winterliche Meer, um bei einem Orakel Rat zu suchen. Sein Schiff geriet in einen Sturm und sank – Ceyx und mit ihm alle seine Mitreisenden ertranken. Daraufhin erhielt Halcyone im Traum eine von den Göttern gesendete Botschaft von dem Unglück. Verzweifelt ob des Verlusts ihres Gatten stürzte sie sich ebenfalls in die Fluten. Die Götter, von der Treue Halcyones beeindruckt, verwandelten sie und ihren toten Gatten in Eisvögel und gewährten der Schiffahrt alljährlich im Winter vierzehn ruhige, windstille Tage, die sog. Halcyon-Tage. Diese spielen auch eine ganz besondere Rolle in Henry Purcells „The Enchanted Island„, und welche andere Insel könnte mit diesem Titel gemeint sein als…richtig Kythera“

Der Grund für diese windstillen Tage ist allerdings etwas kurios und spricht nicht unbedingt für die genaue Beobachtungsgabe antiker Ornithologen. Nicht der Schutz der Seefahrer lag den Göttern am Herzen (wie häufig bei den launischen Olympiern handelt es sich hierbei eher um einen angenehmen Nebeneffekt), nein, die gnädige Zurückhaltung des Windgottes Äolus gilt seiner in einen Eisvogel verwandelten Halcyone, welche zu dieser Zeit angeblich brütend auf ihrem schwimmenden Nest auf dem glatten Spiegel des Meeres sitzt…

Und hier beginnt das Problem: Entweder antike Eisvögel verhielten sich komplett anders als ihre modernen Nachfahren – diese brüten in aller Regel in selbstgegrabenen Höhlen an sandigen Steilufern und Geländeabbrüchen und haben so recht wenig von einer ruhigen See, oder aber die antiken Urheber der Sage haben schlichtweg Seeschwalben (die brüten tatsächlich in ruhigen Meereslagunen auf schwimmenden Flößen aus Grünpflanzen) und Eisvögel miteinander verwechselt bzw. zu einer Art vermischt – Lebensraum und Umrisse beider Arten sind recht ähnlich und beide fangen bekanntlich Fisch…Sicher ist nur, dass ich das griechische Wort „(H)Alcyon“ für Eisvogel so schnell nicht mehr vergessen werde…

Nicht genug damit, gegen Mittag riss der stärker werdende Zephir etliche Blüten von den Bouganveliennüschen und Hibiskussträuchern (wir haben hier immer noch Sommer!) und verteilte sie im kristallklaren Wasser der Bucht. Das Ganze sah aus, als hätte man in einem vernöstlichen Spa für Riesen eine gewaltige Badewanne voller türkis-rosa-weiß-rot gesprenkelten Ajurvedabadewasser mit „Exotikblütenbeilage“ vorbereitet. Und ja, ich hab Bücher, Bücher sein lassen, mir nicht den Photo (der wär eh vom aufgewirbelten Sand kaputt gegangen) sondern die vorsorglich mitgebrachten Badesachen geschnappt und bin  mit Eisvögeln, Silberreihern, Bussarden und Falken als Zuschauern durch die ganze buntgetupfte Bucht geschwommen!

Mitten drinn im romantischen Herumgeplantsche begann es dann oben in den Bergen um Agia Moni zu rumoren. Erst ganz leise, dann lauter, als würde eine ganze Ziegenherde auf einmal über eine der Geröllhalden laufen. Aber da waren keine Ziegen, nur kleinere und größere Felsbrocken die von den Hängen hinunter ins Tal kullerten. Normalerweise ist das hier nicht weiter der Rede wert, kleinere Felsstürze passierten hier quasi im Minutentakt. Was mich dann aber doch etwas beunruhigte, waren die besorgten Gesichtern der Fischer, denen anzumerken war das es diesmal wohl etwas ernsteres war. Leicht besorgt und schweren Herzens verließ ich also meine Privatbadewanne (ich hatte wirklich die gesamte Bucht von Diakofti für mich allein!) und hab am Strand nachgefragt was denn los sei. „Seismos“ Erdbeben, nicht besonders schlimm, aber man sollte sich wohl sicherheitshalber doch ein paar Meter den Hügel hinaufbewegen…Tzunami und so…

Gesagt getan, ich in den Badeklamotten durch den Ort, ab ins Auto und den Berg hochgefahren. Ob das wirklich eine Gute Idee war weiß ich im Nachhinein nicht so unbedingt; Ein Nachbeben auf der durch Felswände verlaufenden Straße von Diakofti zum Flughafen ist sicherlich kein Vergnügen…aber immer noch sicherer als eine Flutwelle unten in der Bucht…

Oben angekommen kam mir schon ein Baggerfahrer mit der Entwarnung entgegen. Es sei wirklich nicht so schlimm. Das Erdbeben habe vor Chan(d)ia – einer Stadt auf Kreta – ca. 80 Kilometer südöstlich von hier stattgefunden, Stärke 6,7. Auf Kythera gäb’s nur kleinere Schäden, keine Tzunamigefahr…

Dumm war blos, dass ich bei der ganzen Aufregung vergessen hatte, Sonnencreme und mein Hemd anzulegen! Resultat: Ein erdbebenverursachter Sonnenbrand! Mein vergessenes Hemd hab ich dann übrigens in der Bucht wiedergefunden, der Wind hatte es zwischenzeitlich über den Strand ins Wasser geweht…noch mehr Wäsche!

Die Fischer hatten sich erst garnicht vom Fleck bewegt. Ein Tzunami, so die einhellige Meinung, sehe anders aus…wie haben sie mir nicht verraten und ich glaub, sie haben sich insgeheim auch ein ganz klein wenig darüber gefreut, dass sie dem bleichen Touristen ein wenig Angst eingejagt hatten…jedenfalls lachten sie alle und fragten, warum ich denn so rot sei…

Zurück im Appartment war ich dann um drei echt Kytheranische Weißheiten reicher:

1) Traue keinem Riesen der Bouganvelienblüten in eine Mittelmeerbucht streut, er will spielen und macht dabei kleine Erdbeben! 😉

2) Ein Erdbeben ist noch lange kein Grund auf den Sonnenschutz zu verzichten!

3) Tzunamis sehen anders aus…wie weiß niemand so genau, da’s bisher vermutlich niemand der’s je gesehen hat weitersagen konnte…

Ein Blick in die Abendnachrichten belehrte mich dann übrigens, dass die Warnung der Fischer vielleicht doch nicht nur scherzhaft gemeint war. Auf dem nur 80 Kilometer entfernten Kreta hat das Erdbeben doch erhebliche Schäden angerichtet und wenn ich’s richtig verstanden habe hat’s auch Schwerverletze und eine, wenn auch sehr kleine Flutwelle gegeben.

PS: Noch etwas ist mir heute aufgefallen. Augenscheinlich verursacht nur Nordsturm (Boreas) Stromausfall. Zephir (Westwind)-Stürme sind zwar stärker (und unangenehmer, da sie heiß und sehr feucht sind, haben hier gerade gefühlte 35°C im Schatten) verursachen aber aus unerfindlichen Gründen keine blackouts. (jedenfalls noch nicht…).

Giassas!

Reise nach Kythera 11 – Von Zeus und El Greco

Zeus

Zeus

Schwefelgelber Himmel, Sturmböen und aufgewühlte See.

Auf Kythera, wie auf jeder Insel inmitten des Meeres, hat Wetter auch hier etwas archaisches, ungeordnetes, unberechenbares. Sicherlich und nicht zuletzt auch deshalb, weil hier die kalten – im Sommer auch heißen – Winde Arkadiens auf gleich drei Meere mit sehr unterschiedlichen Eigenschaften treffen: Die Aegais im Nordosten, die Adria im Nordwesten und im Süden das offene Mittelmeer. Kythera ist – sieht man von dem Südwestlich gelegenen Kreta einmal ab –  das letzte bisschen Land vor Afrika.

Und wie immer, wenn ein kleines bisschen Land und die unendliche See aufeinanderprallen ist Wetter hier keine vorhersagbare Sache – eher eine Art Variable mit zu vielen Unbekannten. Der Alptraum jedes Metorologen!

Vor allem im Herbst und im Frühling, jener Zeit wenn in Griechenland die „Winde ihre Richtung wechseln“ wagt kaum jemand auf mehr als 24 Stunden vorraus zu sagen ob es sonnig, stürmisch, gewittrig, windstill, neblig, regnerisch oder gar alles zusammen werden wird.

Sicher, der Wetterbericht gibt eine Art „Tendenz“ an…aber ob es deshalb auch so sein muss, und ob es nicht doch ganz anders wird ist nicht wirklich berechenbar. Außerdem kann es – obwohl die Insel nicht einmal 300 km² – hat, durchaus sein, dass es im Norden regnet, auf der West-Seite dichtester Nebel herrscht und im Südosten, also nur ein paar Hügel und keine 200 Kurven entfernt strahlender Sonnenschein und Windstille herrscht. Kein Wunder also, dass Kythera von Biologen, Künstlern und Wanderern als „Griechenland im Kleinen“ bezeichnet wird. Und fährt man von den verkarsteten, mit Heide und duftenden Kräutern bewachsenen, windumtosten Hügeln des Südens, durch die fast tropischen Schluchten der Inselmitte in die grünen Kiefern- und Eukalyptuswälder des Nordens hat man wirklich das Gefühl man habe nicht nur wenige Kilometer, sondern eine ganz andere Welt hinter sich gelassen.

Doch eines ist bereits auf den ersten Blick klar: Ohne Wasser geht hier garnichts! Wo es fehlt wächst allenfalls ein wenig dürres Gras, wo es aus den Quellen stömt wachsen riesige Platanen, Weiden, Eichen und Buchen, dazwischen paradiesische Gärten mit allem was das Herz begehrt – von Wein, über Feigen und alle Arten von Gemüse und Obst bis hin zu exotischen Bananenstauden und Kakibäumen. Während wir in Deutschland nicht selten über das nasse Grau des Herbstes (und Sommers!) fluchen, ist man hier – von ganz wenigen Schneetagen im Januar und einigen kurzen Momenten im Frühjahr wenn durch die Schluchten nach heftigen Regenschauern wahre Sturzbäche tosen und manche Teile der Insel wegen Überflutung für Stunden oder Tage nicht oder nur über Umwege zu erreichen sind abgesehen – über jeden einzigen Tropfen Regen, der die Quellen und spärlichen Wasserreservoirs wieder auffüllt heilfroh. Dies nicht nur, weil jeder Tropfen für die spärliche Weide- und Landwirtschaft ein wahres Lebenselexier darstellt, nein, ausgiebige Regenfälle im Frühjahr und Herbst bannen auch ein anderes, sehr reales Risiko: Buschbrände!

Und dann ist da noch eine Sache, die es so an kaum einem anderen Ort Europas gibt:

Das grelle, fast unwirkliche Licht, dass eher an Nordafrika, als an Europa erinnert. Das alles ist aber kein Zufall, sondern Geographie: Kythera liegt weitestgehend südlicher als Sizilien. Dadurch fällt das Licht in einem sehr viel steileren Winkel als weiter nördlich auf die Insel. Folge sind harte und scharfe Schatten, und extrem klare Farbkontraste, die wirken als hätte jemand aus Versehen eine Tonerkasette zu viel eingelegt…Fast, als wäre ein kleines Stückchen Afrika nach Europa verlegt worden…

Fast, denn die Insel hat die eigentümliche Angewohnheit sich während Schönwetterperioden einen Schleier aus tiefliegenden nicht besonders massiven und ebensoschnell erscheinenden wie verschwindenden Wolken zuzulegen. Die Bezeichnung „Schleier der Aphrodite“  die die Einheimischen für dieses Wetterphänomen erfunden haben, lässt mich jedes mal an den bambergischen Schleier der Kunigunde, eine Art sagenumwobener Nebel, der die Weltkulturerbestadt angeblich vor Aliierten Bombardierungen geerettet hat, denken. Und tatsächlihc, es ist als würde jemand binnen Sekunden ein riesiges Leintuch über die Insel spannen und sie in ein diffuses und trotzdem scharfes, grau-weißes Lichts, dass alles zugleich verhüllt und in einer seltsamen Fehlfarbigkeit erscheinen lässt hüllen.

Bereits als ich dieses Phänomen das erste mal vor ein paar Jahren gesehen habe, habe ich mich gefragt, ob es dieses Licht war, dass El Grecco zu seinen seltsam „negativfarbenen“ Heiligengemälden inspiriert hat. Verwunderlich wäre das nicht, seine Familie stammte aus Chania, hier gleich um die Ecke auf Kreta, wo’s gelegentlich, aber nicht so häufig wie auf Kythera ein ähnliches Wetterphänomen zu bestaunen gibt.

El Grecco, der später vor allem in Spanien tätig war, muss dieses eindrucksvolle Spiel aus Licht und Nebel aus seiner Kindheit und Jugend sehr gut gekannt haben.

Mir erscheint daher die Hypothese, der „Schleier der Aphrodite“ habe El Greccos eigentümliche Malweise beeinflusst, eine bessere Erklärung für die seltsame, weiter nördlich unbekannte Farbgebung in El Greccos Bildern als die in der kunsthistorischen Literatur häufig diskutierte Augenkrankheit oder eine besonders innige Frömmigkeit die sich in einer bewussten „Überhöhung“ durch Fehlfarbigkeit ausdrückt. Nein, wer dieses Phänomen kennt, wird feststellen, dass in El Greccos Bildern ist nichts fehlfarben oder übertrieben ist. Der große Künstler hat die Dinge ganz einfach so gemalt, was er aus seiner Kindheit kannte, nicht mehr, und nicht weniger.

Vermutlich war es deshalb auch eher die Erinnerung an eines jener garnicht so seltenen kretischen oder kyhteranischen Herbst- oder Wintergewitter bei dem jähe magnesiumweiße Blitze durch vom Meer her aufsteigende, tiefhängenden Wolkenfetzen schießen und dabei die Nacht in magnesiumweißes Licht hüllen, das „Den Griechen“ zu seinen schreckenserregenden Heiligenvisionen ermunterte,  und nicht irgendwelche „göttlichen“ Visionen (die aber – dies sei den „Visionären“ der Kunstgeschichte zugestanden – , wenn man sie sich ausdenken müsste, nicht sehr anders aussehen würden. Nur musste sich El Grecco eben nichts ausdenken, er kannte das Ganze als „real version“). Vielleicht ist dieses seltsame Wetterphänomen ja auch die Erklärung für andere „Visionen“. Jene des Evangelisten Johannes. Der saß nur knappe 70 Kilometer nördlich am anderen Ende der Ägais auf einer anderen aus dem Meer aufsteigenden Insel: Patmos. Nach allem was ich weiß soll es dort mitunter, wenn auch seltener sehr ähnliche Wetter- und Lichtphänomene geben… und wer weiß, vielleicht war das „Himmlische Weib“ im Johannesevangelium ja garnicht so himmlisch, sondern nur eine Bäuerin, die nach Einbruch der Dunkelheit noch rasch die Ziegen in den Stall zurücktrieb und dann vom ersten Blitzstrahl eines in der Dunkelheit unbemerkt heranziehenden Gewitters in goldenes Licht gehüllt wurde…

Tatsächlich hat auch für mich Göttervater Zeus persönlich in seiner Mottenkiste gekramt und noch rasch bevor mein Flieger zurück ins kalte Deutschland geht Blitz, Donner und Sturm hervorgekramt. Gemeinsam mit seinem nicht weniger göttlichen Bruder Poseidon zaubert und allen Tritonen, Amphytriten und Winden werkelt er gerade am ersten ordentlichen Herbststurm des Jahres. Vermutlich ist das die Strafe für meine unselige Hybris, mit der ich als Sterblicher gestern und unziemlichster Anmaßung den Blickwinkel eines Gottes genießen ließ – Beim Anblick des „Schleiers der Aphrodite“ hat’s mich einfach gerissen und ich bin durch jähe Steilwände und noch jähere Schlaglöcher hinauf zu den Nato-Abhörantennen nach Agia Elessa gefahren.

Wortwörtlich „in den Wolken sitzend“ sah ich mir von dort dann „mein“ Kythera an und fühlte mich inmitten von Sturmgeheul und vom weiten Südmeer an die Felswände getriebenen Nebeln, beinahe selbst wie ein kleiner Gott…Die Rechnung kam heute postwendend in Form einer schlaflosen Nacht und einer wiederaufflammenden Erkältung…

Zeus ist sauer und grollt seit Mitternacht vom Gipfel des nahegelegenen Faskomiles. Vielleicht hätte ich aber auch gut daran getan mich auf die kleine vorgelagerte Insel Makrodragonara fahren zu lassen. Dort warfen Schiffsleute und Reisende über Jahrhunderte immer wieder Münzen in die kleinen Schluchten und schufen so mit der  Zeit einer der größten und vielfältigsten antiken Münzschätze, dessen Prägungen vom Schwarzen Meer bis nach Karthago und Spanien reichen. Leider ist auch dieser vor wenigen Jahren von Archäologen entdeckte Schatz heute genau wie  der Schatz von Antikythera mit dem „Antikytheraapparat“ nicht mehr auf der Insel, sondern in Athen…Irgendwann braucht man hier wirklich mal ein ordentliches Museum – und wer weiß, vielleicht gibt es dann auch mehr zu sehen, als „nur“ den berühmten „Kytheranischen Löwen“ eine vollendete Marmorstatue, die einst vermutlich den Burgberg von Paleokastro schmückte, später von den Venezianern über der Rampe des Forts in Chrora als Türwache aufgestellt wurde, dann ins Museum gebracht, von den Deutschen Besatzern als „Souvenir“ entführt, von einem kyhteranischstämmigen Professor in Deutschland wiederentdeckt und in den 1980er Jahren wieder auf die Insel zurückgebracht wurde…

Genug Archäologie und Kunstgeschichte für heute. Ich frage mich ohnehin schon die ganze Zeit, warum ich jedes Mal wenn ich etwas über diese Insel schreibe in griechische Mythologie und Archäologie abschweife und so wenig über die Gegenwart und den Alltag (na ja, so wenig war’s auch nicht) zu Papier bringe…vermutlich hat mich da auch der „Schliemann-Virus“ getroffen, so wie er jeden trifft, der sich auch nur ein wenig mit der Geschichte und Vergangenheit dieses Teils der Welt beschäftigt.

Ich muss weiter – Draußen verkünden Schreie und Motorsägen der Bauarbeiter und nicht Kirchenglocken den Neuen Tag – Sicher, es gibt hier – anders als in manchen ganz strengen Athoseinsiedeleien – auch Kirchenglocken, aber sie fühlen sich für so profanen Dinge wie Stunden und Tage anscheinend nicht zuständig…Entweder man macht das hier nicht so (was ich mir bei den doch recht zahlreichen Zifferblättern an den Kirchen nicht recht vorstellen kann), oder aber, die Uhrwerke sind irgendwann einmal kaputtgegangen und harren noch ihrer Wiederauferstehung…Jendefalls ist die Sache auch nach zweieinhalb Wochen auf der Insel noch immer sehr gewöhnunsgbedürftig für einen Wahl-Bamberger wie mich, der es gewöhnt ist, dass eigentlich immer und überall mindestens eine Glocke ihren Dienst verrichtet und ganz fürchterlich erschrickt, wenn wirklich einmal absolute (und nach bambergischem Verständnis auch absolut unchristliches) Schweigen herrscht… Nun…es geht auch so…

Und da sich auch Zeus inzwischen wieder beruhigt zu haben scheint, werde ich heute vermutlich auch zurückfliegen können. Mal sehen ob der große und kleine Jannis auch bei diesem Wetter am Strand sind. Danke an alle, die geholfen haben, dass auch dieser Forschungsaufenthalt wieder ein Augenöffner und Erfolg war…Ich werde mich jetzt gleich nochmal ins Auto setzen und mich zu einer ausgiebigen Abschiedsfahrt über die Insel aufmachen…

Giassas!

Reise nach Kythera 10 – Zwischen Heidiland und Down Under oder: Neulich am Strand von Diakofti…

Hellas !

Hellas !

„Grüazi, sid’s Ihr au vo Züri dô“

Genauso wenig wie „Baden am Strand“ normalerweise zu den Aufgaben eines fleißigen Feldforschers gehört, würde man diese Frage an einem kleinen Sandstrand südlich des Peloponnes erwarten. …Doch auf Kythera funktionieren Kathegorien wie „man würde nicht erwarten“ oder „noralerweise“ nicht, jedenfalls nicht so, wie im guten alten Mitteleuropa.

Kyhtera ist anders – nicht nur im Reiseprospekt! Der Strand von Diakofti ist Mitte Oktober einfach der beste Ort an dem „Forscher“ ganz zwanglos und unter dem mehr als mäßigen Schatten einiger Strandzypressen (ich bin immer noch überzeugt, dass es nichts anderes als reichlich zerzauste Tamarisken sind…) mit Leuten aus aller Herren Länder ins Gespräch zu kommen.

Das diese Menschen es zufälligerweise gerade auch Leid sind sich neuerdings erfolgreich „Wanderwege“ nennende, felsbrockenübersähte Ziegenpfade auf und abzusteigen, ist ein angenehmer Nebeneffekt, aus dem sich dann auch gleich trefflich ein improvisiertes Interview zur touristischen Zukunftsentwicklung der Insel basteln lässt.

Ergebnis eines dieser „Gespräche“ war, dass auf der Insel dringend eine Abordnung des schweizerischen Alpenvereins tätig werden müsse, die bei der Gründung einer örtlichen Gruppe tatkräftige Hilfe leisten könnte, damit die letztendlich die Wanderwege in einen „menschenwürdigen“ Zustand versetzen sollte…Ich vermute jetzt einfach mal, dass niemand außer mir den Zustand der Wege vorher kannte. Ich finde sie mehr als vorbildlich und auch durchaus „menschenwürdig“ ;-).

Außerdem wollte ich mich heute ja mal kurz fassen…

Man (also der Feldforscher im nicht mehr so ganz funktionierenden Inkognito – Griechische Inseln sind eben in der Nebensaison sehr klein…) liegt also  teilnahmsvoll teilnehmend beobachtend am Sandstrand. Auf dem Kopf ganz stilecht einen falschen Panamahut und in den Händen einen gar nicht mal so schlechten amerikanischen Roman…nicht jeder Neuankömmling muss gleich sehen, dass man über die Insel forscht…man wird hier sonst sehr schnell zum unfreiwillig-inoffiziellen Reiseführer verdonnert…

Deshalb ist auch alles deutschsprachige auf dem Buchcover oder an der Kleidung tabu – schließlich muss angesichts der aktuellen „Beziehungskrise“ zwischen Hellas und Germania nicht jeder sofort wissen, woher man kommt…Es erspaart einem die eine oder andere reichlich sinnfreie politische Diskussion auf der Metaebene…Wobei, im Gegensatz zu ihren Athener Brüdern sind die Kytheraner in diesen Dingen – meist – wesentlich realistischer. Es wird hier eben nicht alles so heiß gegessen wie es auf dem Syntagma-Platz gekocht wird, und man ist weltgewandt genug, dass man auch mal den kritischen Abstand zu allzu nationalistischen Tönen der eigenen Regierung wahren kann…Außerdem…es gibt hier genug lokale politische Themen über die man sich – selbstverständlich in Englisch – die Köpfe heiß reden kann…

Das heißt nun nicht, dass meine Interviewpartner nicht sehr genau wüssten, wer ich bin und was ich mache…Diesmal gab’s sogar extra Flyer mit Bild und zentralen Fragestellungen der Arbeit (Erfolg des Ganzen war, dass die Hälfte meiner Interviewpartnerinnen es nicht lesen konnte, weil sie zu eitel waren eine Brille zu tragen und die Andere Hälfte sich in herzlichen aber liebevoll darüber amüsierte, wie unglaublich organisiert und „deutsch“ ich doch sei…Das nächste Mal also keine Flyer mehr…

Grundsätzlich gesagt ist es hier aber für die „Erstbegegnung“ wie in allen „kleinen griechischen Bergdöftern“ (Titel eines berühmten ethnologischen Standardwerkes) schlichtweg besser, wenn nicht jeder sofort weiß wer man ist, und was man macht, sondern sich erstmal auf „normaler“ Ebene kennenlernt. Andernfalls bekommt man außer dem üblichen „Kythera ist eine wundervolle Insel um darauf Urlaub zu machen“ -Stereotyp nichts sehr viel zu hören und sehen.

Immerhin war hier noch niemand so überengagiert, dass er mir – wie in Franken bereits zwei mal passiert – seine gesamte Sippschaft in Tracht mit Schnaps, Brot und Schinken auf den Hals hetzte…Es damals ja war nett gemeint, aber…

Zurück nach Kythera: Nach etwas über zwei Wochen, die ich jetzt hier bin, weiß eh jedes Kind wo ich hingehöre und was ich mach (die ersten bringen mir schon kleine „Inselandenken“ in Form von Disteln, Sempervivablüten (Inselblume) und bunten Kieselsteinen – Ich habe gerade etwas Angst wegen der Kosten für Übergepäck und fühl mich außerdem wie Malinovsky an seinem berühmten Schreibtisch…Die Welt ist klein hier…sehr klein…Die Menschen sind (noch!) außerordentlich nett und hilfsbereit und sehr stolz, wenn sie einem etwas neues zeigen können (manchmal auch zu sehr, aber woher sollen sie denn auch wissen, dass ich den Weg nach Amir Ali wahrscheinlich besser kenn als sie selbst und nicht auf jedem Quadratzentimeter Schutz vor herumstreunenden Katzen, Brombeerdornen, Libellen (die „stechen“ nach mediterranem Volksglauben nämlich…dafür scheint man vor Hornissen – die zwar nicht tödlich sind, aber sehr fieß zustechen können – keinerlei Angst zu haben) und gefährlichen Herbstblättern (sic!) brauche. Auch das ist nett gemeint, und nie auf- oder zudringlich, sondern immer Ausdruck der besonderen Sorge um den geschätzten Gast. Dass ich dabei gelegentlich auch zum Aufpasser der Kiddis wurde und nicht andersherum…mein Gott, das passiert und ist eigentlich eine hohe Auszeichnung, weil die kytehranischen Mütter mir, dem Fremden, in dieser Hinsicht ganz offensichtlich blind vertrauen. Nur eilig sollte man es eben nicht haben…Vielleicht tut mir das bisschen Entschleunigung auch ganz gut. Es hilft zu vestehen, warum hier jahrhundertelang Dinge sehr anders funktionierten als im durchorganisierten und punktgetakteten Deutschland, nicht weil man etwa faul oder unmotiviert gewesen wäre – wie es die gehässige Deutsche Fama nur allzu gern über Griechen verbreitet – sondern weil es die Natur der Insel und ihre sehr begrenzten Ressourcen einfach nicht anders zuließ.

Ruhe, Kluge Selbstbeschränkung und Zurückhaltung – kurz das richtige Maß – waren hier nicht nur abstrakte philosophische Tugenden – sie waren und sind überlebenswichtig. Auf einer Insel, auf der man nie wusste, wann der nächste Piratenüberfall kommen, die nächste Ernte ausfallen, oder die Winterregen ausbleiben konnten, das wenige Vieh geraubt oder von einer Seuche hinweggerafft würde, oder monatelang wegen Stürmen und kriegerischer Konflikte kein Schiff mehr durchkam – tat und tut man gut daran, die eigenen Wünsche, Hoffnungen und Erwartungen nicht allzu hoch in den Himmel wachesen zu lassen und langam, bedacht und beständig anzugehen – Vielleicht ist dies das eigentliche Geheimis des weltweiten Erfolgs jener Kytheraner, die in andere Länder ausgewandert sind. Sie haben Träume, große sogar – aber sie vergessen nie, dass es harter Arbeit und einen sehr langen Athem braucht um diese auch umsetzen zu können. Diese ruhige, bescheidene, realistische, freundliche, aufgeschlossene, niemals aufdringliche Art, die erst einmal abwartet, nichts überhastet, nachdenkt und erst dann entscheidet und auch vor Mühe und Rückschlägen nicht zurückschreckt ist es, die mir hier auffällt.  Man kann nur hoffen, dass dies so bleibt, und die Bewohner der Insel sich nicht von der Aussicht auf schnellen, aber zerstörerischen Profit blenden lassen – wenn das gelänge wäre es eine der ganz großen Ressourcen und Alleinstellungsmerkmale der Insel.

Zurück nach Diakofti: Der teilnehmende Feldforscher liegt also gerade teilnehmend beobachtend am Strand, wehrt den örtlichen Strandhund ab (der gute, arme, alte Kerl hat die dumme Angewohnheit sich ERST ins Wasser zu werfen und sich DANN pitschnass auf einen fallen zu lassen, andersrum wär echt praktischer, aber das kapiert groß Jannis nicht. Es gibt übrigens auch den kleinen Jannis, der ist aber der Sohn eines der Fischer – ich hoffe, dass groß Jannis, wenn klein Jannis groß ist nicht mehr ist, ansonsten wird das echt verwirrend…

Man liegt also so da, ließt amerikanische Romane und denkt an nichts böses als urplötzlich zwei blondgelockte Schönheiten im Bikini in breitestem Züri-Dialekt über die Insel, die Schwachheiten der lokalen Männerwelt und die ach so „korrekten“ Schweizer berichten…was die zwei nun aber nicht wussten (sie wussten sonst alles, der Opa war schließlich der Inhaber des alten Kaffées in Bimberlesdrianika…), war, dass der „Grieche“ zwei Meter neben ihnen (er hatte sich wirklich wunderbar als Grieche getarnt, sogar die Hautfarbe passte!…Chapeau!) auch Kythera-Schweizer war, und – und das machte sie Situation erst interessant – ein langläufiger Cousin 2. Grades mütterlicherseits…Das nachfolgende Gespräch und das allgemeine Erstaunen war beiderseits, kurz und heftig.

Mich hingegen wundert hier garnichts mehr, da ich in den letzten zwei Wochen mehr schwizerdütsch als Griechisch zu hören bekommen habe. Offensichtlich gibt es einen neuen Trend und die Greko-Kytheranisch-Schweizerische Community, sowie die gesamte greko-affine Teil der hochalpinen Wandersektionen Zürich-Land, Zürich-Stadt, Toggenburg, Appenzell-Innerroden, Bern-Oberland und Solothurn haben sich hier zu einem inoffiziellen Meeting mit ihren englisch- und schwedischsprachigen Mitstreitern verabredet. Das Wandertourismuskonzept für die Nachsaison scheint aufzugehen.

Das Ganze hat auch etwas amüsantes. Es ist einfach zu herrlich zu beobachten, wie blumenkohlfarbene Menschen (ich war bis vor Kurzem auch noch so einer, jetzt bin ich irgendwas zwischen Rot und Braun) im absolut stereotypsten Wanderoutfit auf einer an sich relativ übersichtlichen Insel, völlig verwirrt und leicht peinlich berührt auf der Suche nach dem Weg zum Kolokothrinesdenkmalsgedächtnisweg zwischen Strandliegen und Sonnenschirmen herumirren.

Auf ihren Gesichtern einen Ausdruck, der sehr deutlich macht, dass sie es absolut nicht fassen können, dass hier Ende Oktober noch Hochsommer ist (jedenfalls für Nordeuropäische Verhältnisse) und die Frage, warum sie – wo sie doch sonst allen möglichen und unmöglichen Nonsens mit sich herumschleppen (Wanderführer in drei Sprachen, IPod mit den 600 schönsten Wanderliedern vom Montanara-Gebirgsschützenchor, Kletterausrüstung, Astronautennahrung…- Keine Badeklamotten eingepackt haben.

 

Seltsamerweise ist noch niemand von den „Naturburschen jenseits der 60“ (Selbstbezeichnung…wir hatten hier gestern vor dem Zefiros ein Meeting der „Lustigen Holzhackerbuam“…“Meine“ armen Kytheraner wurden in die Kunst des Schuhplattelns eingeführt…) auf die Idee gekommen ist, einfach so wie er geschaffen wurde…oder zumindest in Unterwäsche ins Wasser zu springen…Stattdessen blicken sie beim Anblick der letzten Badenden peinlich berührt auf ihr Handy (das funktioniert hier eh meistens nicht, entweder weil kein Empfang da ist, oder es zuviel Signale von den amerikanischen Abhörantennen auf dem Digentis oder bei Ag. Elessa git…aber das ist geheim! ;-)). Es hat etwas gedauert bis ich verstanden hab, dass sich diese Leut keinesfalls verlaufen haben und nun versuchen herauszufinden wo sie sind, sie suchen einfach nach dem nächsten Geo-Chache (auch das ist neu) irgendein Witzbold hat den nämlich ausgerechnet im verfallenen Fischerhäuschen direkt am Strand versteckt…Nach dem dritten  mittelalterlichen Jungspunt der mir dann an einem Vormittag über das Handtuch gelatscht ist, hab ich dann den Spielverderber gemiemt, das verdammte Ding aus seinem „Versteck“ geholt und es einfach neben mich gestellt und mit müdem Lächeln drauf gezeigt, sobald sich wieder einer dieser Handy-Wanderer näherte…Als ob es nicht ausreichte einfach die Landschaft anzusehen und sich darauf zu konzentrieren…Übrigens findet auch der „große Jannis“, dass das, was die Leut da machen irgendwie idiotisch ist, und knurrt die hochtechnisierten Eindringliche böse an…eigentlich macht er das sonst nicht, und freut sich, wenn er mal wieder ein paar Touristen zum knuddeln und anbetteln hat…vermutlich passt ihm einfach nicht, dass diese Leut ihn absolut nicht beachten…

Die Kyhteraner meinen im Übrigen es sei Hochwinter und eiskalt. Wenn ich oder jemand von den anderen Blumenkohlmenschen denn doch mal in die Fluten steigt, sehen sie einen an, als wäre ich ein Eisbär. Mal schauen wie lange es dauert bis mir jemand einen Pelzmantel und Glühwein anbietet…

Doch zurück zu den weitläufig verwandten Kythera-Schweizern…Sie waren nicht die einzigen „Expatriots“, die sich an diesem Vormittag dazu entschieden hatten den verspäteten Hochsommer mit einem Bad in der türkisfarbenen Lagune von Diakofti zu beginnen. Nur drei Meter hatten inzwischen zwei ältere im Wasser plantschende Herren (beide waren sehr offensichtlich Nichtschwimmer und hatten herrlich quietschbunte Schwimmhilfen Marke „Bademeisterwurst“ dabei) in jenem unverwechselbar „Outbackgefärbten“ und mit veralteten venezianischen Floskeln gespickten Kythera-Englisch zu reden begonnen, das nur echte Remigrants oder Heimaturlauber aus down under zu sprechen pflegen.

Geradezu „lebendig“ (jedenfalls für Kytheranische Begriffe) wurde das ganze idyllische Stillleben dann beim Zauberwort „Karavas“ (ein Ort im Norden der Insel). Der gesamte Strand (außer mir natürlich) vereinte sich binnen Sekunden zu einem multilingual geführten  Abgleich der jeweiligen Stammbäume, Ahnen und Besitztümer auf der Insel. Es war das reinste heiter-babylonische Sprachgewirr aus Schwitzerdütsch, Griechisch und Australo-Englisch aufgelockert mit ein paar Brocken Französisch.

Diese sehr spezifische Obsession der Kytheraner von ihren Stammbäumen und der damit verbundenen Abstammung/“Blut“ inklusive der latenten Tendenz mindestens von einer, wenn nicht gar zwei adligen Familien (man hat die Wahl zwischen venezianisch und/oder byzantinisch, am besten aber ist beides…man weiß ja nie…) abzustammen (bzw. abstammen zu müssen!) ist nebenbei bemerkt echt venezianisches Erbe, dass sich genauso auch bei den Diasporakytheranern in den Nobelvororten von San Francisco, Zürich und Sydney findet (nur passt’s dort irgendwie besser hin…Englischer Rasen, akropolisartiges Anwesen, Blick auf Zürichsee, Pazifik oder Tasmanische See…sicher, Kytheraner finden sich auch in den anderen Vierteln, aber es geht hier um’s passen, nicht um den repräsentativen Querschnitt).

Zwar haben auch hier (d.h. auf Kyhtera) die stets unverschämt-revolutionsgierigen Franzosen 1797 das hochheilige Libro d’oro mit dem Verzeichniss der Manneslinie zurück bis zu Adam und Eva und den Griechischen Göttern verbrannt, aber es gibt und gab – Gott sei’s gedankt – immer noch genügend mehr oder minder akkurate Abschriften, Wappen und Urkunden. Trifft man dann auf der Heimatinsel ein oder zweimal im Jahr mit der entfernten Verwandtschaft aus Australien, Italien, den USA, Deutschland und Südafrika zusammen, lässt sich gemeinsam und mit dem mühsamst und in Jahren aufopferungsvoller Recherche zusammengetragenen mehr oder minder zuverlässigen „Archivmaterial“  bei einem Caffé Fredo stundenlang der gesamte Stammbaum und die gegenseitigen Verwandtschaftsverhältnisse rekonstruieren. Irgendwie muss man schließlich die unerträglich heißen Nachmittage unter südlicher Sonne verbringen…und es gibt ehrlichgesagt schlechtere und weitaus weniger interessante Möglichkeiten!

Wie exzessiv diese Obsession von den Kyhteranern gepflegt wird, zeigt sich am besten an einem kleinen, zweisprachigen Schild im Eingangsbereich des historischen Archivs von Kythera (ich geb’s hier der Einfachheit halber nur in seiner englischen Variante wieder):

The stuff of the archive is not obliged to research family-trees on behalf of individual persons !

Wie es sich mit mehreren Personen, Familien oder anderen Ausnahmen verhält konnte ich leider nicht herausfinden, nur, dass das Archivpersonal unter alles andere als optimalen Bedingungen wahre Wundertaten vollbringt (und das ist hier durchaus ernst gemeint!).

Ums Kurz zu machen und wieder an den idyllischen Strand von Diakofti zurückzukehren:

Nach ca. einer Viertelstunde intensivster Diskussion und der Zitation von mindestens 200 absolut unbezweifelbaren Autoritäten im Bereich der kyhteranischen Ahnenforschung (Oma, Onkel Giannis, Onkel Panagiotis, Großtante Tzeli…) hatten sich Alle anwesenden (außer mir) darauf geeinigt, dass sie mit allergrößter Wahrscheinlichkeit ein und denselben Ur-Ur-Großvater (selbstverständlich aus dem Zauberwortort Karavas…) hätten und außerdem mit mindestens vier Dutzend weiteren Cousins und Cousinen über fünf Ecken gemeinsame Verwandte aufwiesen…Hört sich reichlich konstruiert an?

Wie gesagt, Kythera ist anders, nicht nur im Reiseprospekt…und wenn ihr schon an der Reliabilität einer harmlosen Begegnung entfernter Verwandter am Strand von Diakofti zweifelt, dann sollte ich Euch vermutlich garnicht erst die wundervolle Geschichte vom Tag als Lady Di per Hubschrauber eingeflogen wurde erzählen…und dass gerade zwei indische Filmscouts auf der Suche nach einem exotischen Drehort für den nächsten Bollywoodschinken mit mir auf den neu ausgeschilderten Wanderwegen den griechischen Busch unsicher machen (sie sind mir aufgefallen, weil sie die einzigen Wanderer waren, die nicht permanent auf ihr Handy glotzten!), glaubt mir vermutlich auch niemand…selber schuld!

PS: Wenn man weiß, dass heute nur noch ca. 3-4000 Kytheraner auf der Insel, aber 80-150.000 (niemand weiß das so genau) ihrer Nachkommen auf dem gesamten Erdball wohnen, und nicht ganz wenige davon (auch hier fehlen exakte Zahlen, wir sind schließlich in Griechenland…aber ich schätze es dürften jährlich um die 5-6000 sein, von denen ca. 2-300 noch irgendwo ein eigenes Häuschen/Zimmer auf der Insel haben und ca. 50-100 einen oder mehrere Monate im Jahr auf der Insel verbringen), mehr oder minder regelmäßig die Heimatinsel besuchen (manche sprechen in diesem Zusammenhang auch von „Heiweh-“ bzw. „Andl-Tourismus“ und „Heim-Suchung“, aber das ist eine andere Geschichte…) wird manches, was einem auf den ersten Blick an dieser Insel sehr erklärungsbedürftig erscheinen mag zum „ganz normalen Alltagswahnsinn“.

PPS:…dass es in der Schweiz eine derart starke kytheranische Community gibt, war selbst mir neu…

PPPS: So…da mein letzter Interviewpartner nicht vom sprichwörtlich ambivalenten griechischen Verhältnis zu Raum und Zeit gepackt wurde und man auf der „Insel der Seligen“ ganze Tage als teilnehmender Beobachter mit Beobachten von Heimweh-Touristen beim Baden zubringen kann (nein, ich war eigentlich nur ne gute Stunde unten…aber theoretisch geht’s und doppelt nein, das ist Forschung…sogar ein ziemlich wichtiger Teil davon, weil ich anders an diesen Personenkries absolut nicht herankomme…) scheint mir der „Schwarze Loch Effekt“ noch ausgeprägter zu sein als in good old world heritage site Bamberg in dem ansonsten weltweit anerkannte Kategorien wie „Uhrzeit“, „Monat“ und „Tag“ auch nicht unbedingt dieselbe Gültigkeit haben, wie im raumzeitlich geordneteren Schwabenland. Eine echte Belastungsprobe, der ich mich aber gerne unterwerfe. Und wer das jetzt nicht verstanden hat: ich sagte ja am Anfang, dass das hier eher eine Art „Gedankenblitzsammlung“ werden soll…

PPPPS: Mir fehlt einfach noch ein wenig davon, was man auf dem griechischen Festland „kefi“ nennt (eigentümlicherweise habe ich das Wort niemals im Munde von Kyhterandern und ihren Nachkommen gehört…vielleicht gelten sie daher nicht ganz zu unrecht als die „Preußen Griechenlands“ ) Schade eigentlich, dass die temporäre Beschränkung von Forschungsaufenthalten aus terminlichen und pekuniären Gründen diese Art des epistemologisch wie methodisch so wichtigen Eintauchens in die „Nahe und nicht so nahe Fremde“ heute kaum noch möglich macht…oder wann habt ihr zuletzt davon gelesen, dass jemand 2 oder 3 Jahre bei einem Stamm in den Anden oder auf einer kleinen griechischen Insel zugebracht hätte? Sic transit gloria ethnologicae…wenigstens bin ich inzwischen nicht mehr ganz so blumenkohlfarben und die Kinder erschrecken nicht mehr, wenn ich um die Ecke bieg…

Giassas! Hellas 1

Reise nach Kythera 4 – Auf den Spuren Schliemanns

Große Vorbilder sind so eine Sache, vor allem wenn sie auch nicht mehr Erfolg hatten als man selbst.

Schon Heinrich Schliemann suchte vergebens und mir gings heut, als ich mich mühsamst durch Felsen und Macchia den Burghügel von Paliokastro, dem Standort der antiken Inselhauptstadt hinaufquälte auch nicht besser. Keine gewaltigen Marmorsäulen, keine Statuen, und erst recht kein Aphroditetempel – außer ein paar zerfallenen Trockenmauern und abgebrannter Macchia rein garnix…na ja, nicht ganz. Wer genauer hinsieht, findet hier von zerissenen Plastikplanen mehr schlecht als recht abgedeckt, seit ein paar Jahren vier oder fünf kleine Archäologische Schnitte mit einigen Hausresten drinn, und weit verstreut im Gelände einige Strukturen, die einmal etwas wie Stadtmauern gewesen sein könnten, und die gewaltige Ausdehnung der einstigen Stadt (oder war es nur deren Akropolis und auf den umliegenden Hängen stand noch mehr?) bestätigten.

Und natürlich sind da auch noch die zwei kleinen byzantinischen Kapellchen des Hl. Cosmas und Damian (griechisch auch Agioi Anargyroi genannt) und etwas weiter oben des Hl. Georgs, beide haben ihre besten Tage schon lange hinter sich, und sind außen ziemlich wie innen ziemlich unscheinbar, außer man interssiert sich für ein paar verbaute, ziemlich kleine und wenig gelungene proto-dorische „Säulchen“,  die schon der dreijährige Praxiteles besser hinbekommen hätte…Interessant ist das, was in den beiden archäologischen Schnitten vor den Kapellen zu sehen ist – jedenfalls für den, der das Wirrwar aus Steinen und Geröll zu Deuten weis. Wie so oft auf dieser Insel, haben die jüngsten Ausgrabungen ergeben, dass das, was sich die Menschen schon lange erzählten tatsächlich stimmte: Beide Kapellen waren auf, bzw. unmittelbar vor den antiken (Haupt-?) Tempeln der Stadt erbaut worden. Und zumindest bei der Unteren gab es sogar eine Art Weiterleben der antiken Zuschreibung des Ortes. Wie die antiken Zeussöhne Castor und Pollux (häufig auch Dioskuren genannt) denen der Tempel vor der unteren Kapelle geweiht war, waren auch die beiden Heiligen Cosmas und Damian, denen die kleine untere Kapelle geweiht ist Zwillingsbrüder.

Bei der oberen Kapelle ist die Sache nicht ganz so einfach, dafür ist das Ergebnis der jüngst durch den aus Kythera stammenden Archäologen Ioannis Petrocheilos durchgeführten Grabungen, wenn sich seine Mutmaßungen denn bestätigen, umso sensationeller. Ach wenn die langestrecke Ansamlung von Felsbrocken und das bisschen Erde nach nichts besonderem aussehen: Genau hier stand er, der schon bei Homer erwähnte Aphroditetempel, den schon Schliemann und viele andere vergeblich suchten. Sie alle waren vermutlich hier oben gewesen, oder kannten den Standort zumindest vom Hörensagen, aber keiner – Homer vielleicht ausgenommen – konnte sich vorstellen, dass es sich bei dem berühmten Heiligtum eben nicht um einen marmorglänzenden hellenistischen Prunkbau sondern um ein vermutlich wesentlich älteres, kleines und ziemlich schmuckloseres Gebäude handelte – das eben genau so aussah, wie griechische Tempel vor dem Zeitalter des Helenismus aussahen: einfach und bescheiden. Ob es hier oben jemals einen marmorglänzenden Nachfolgerbau des wohl aus dem 8. oder 7. Jahrhundert vor Christus stammenden, und jetzt ausgegrabenen Baus gab, muss vorerst offen bleiben. Jedenfalls scheint er für sehr lange Zeit nicht als das erkannt worden zu sein, was er möglicherweise ist: der langgesuchte Tempel der Aphrodite. Früher scheint dieses Wissen jedoch durchaus vorhanden gewesen zu sein. Zwar stammt der unmittelbar vor dem „Tempel“ gelegene heutige Bau der Kapelle des Hl. Georgs erst aus dem späten Mittelalter, doch dürfte es auch hier, ähnlich wie weiter unten bei der Kapelle der Hl. Anargyroi weitaus ältere Vorgängerbauten gegeben haben, die zu einer Zeit entstanden sind, als die Kytheraner noch sehr genau wussten, wo die antiken Tempel gelegen hatten. Wie anders sollte sich sonst erklären lassen, dass auch dieser Bau haargenau vor dem Eingang des ehemaligen Tempels gebaut wurde, so als wolle er – wie es die weiter unten gelegene Kapelle auch tut – gleichsam den Eingang zur heidnischen Opferstätte symbolisch versperren und stattdessen eine christliche Alternative anbieten? Leider sind im Moment zu wenige Mittel vorhanden um diesen Fragen weiter nachzugehen.

Und für alle, die das nicht interessiert: der Berg bietet dem, der den etwas schwierigen Aufstieg wagt neben den archäologischen Sehenswürdigkeiten auch einen  einmaligen Ausblick über die Insel der die Mühe allemal lohnt. Und nein, das war heute kein Freizeittrip. Ich war sogar richtig fleißig, das ganze ist nämlich nichts anderes als ein gesponsertes colaboratives „Digging Project“ der Kytheranischen Community – und über die forsche ich schließlich!

Wer dort hoch will sollte sich allerdings sputen. Bis zum großen Buschfeuer 2010 war’s quasi unmöglich durch die Macchia ganz nach oben durchzukommen, und auch jetzt wächst schon wieder alles zu. Ganz abgesehen davon empfiehlt sich – wie eigentlich fast immer auf Kythera – festes, geländetaugliches Schuhwerk und ein Tag an dem es nicht allzu heiß ist, es gibt dort fast keinen Schatten und weit und breit keine Quelle, an der sich der Wanderer laben könnte – und sorry, es ist und bleibt auch für den geübten Wanderer immer noch eine ziemlich gefährliche Kletterei zwischen Geröll und Abgrund der einiges an Orientierung vorraussetzt. Ein richtiger Weg existiert eigentlich nur unterhalb des an einer kleinen Staubpiste, die von der Straße zwischen Paliopoli und Fratsia abbiegt gelegenen Viehgatters. Jenseits davon muss man sich irgendwie zwischen den Steinen „hindurchmogeln“. Denen die die Kapellen auch von Innen sehen mögen sei ein Gang mit den Archäologen (die sich leider nicht permanent auf der Insel aufhalten – man muss sich einfach durchfragen, ob sie gerade da sind und Führungen anbieten) empfohlen, da sie verschlossen und ihr Betreten nur in Begleitung erlaubt ist (das liegt weniger an dem, was dort zu sehen ist, sondern eher daran, dass beide Bauwerke nicht in allerbestem baulichen Zustand sind. Wem dies gelingt der kann sich v.a. in der Kapelle der Agioi Anargiroy, die fast vollständig aus Überresten der antiken Bauwerke erbaut wurde des Gefühls nicht erwehren, sich an einem Ort zu befinden, der den Menschen seit bald 3000 Jahren heilig ist.

So der Hunger ruft. Auch Feldforscher müssen mal was essen!

Paleokastro, Agios Georgios

Sieht harmlos aus…Paleokastro, Agios Georgios

Paleokastro

Ist aber da oben! und es gibt keine Straße, keinen Weg, nur Felsen, Geröll, Verbrannte Büsche und Dornmacchie! Burgberg von Paliokastro

Reise nach Kyhtera 3 – Von der Totenstadt durchs „Kytheranische Outback“ auf Aphrodites Thron

Vor meinem Fenster knattert ein strahlend weißes Sonnensegel im auch um diese Jahreszeit noch warmen Westwind. Über den dunkelblauen Himmel ziehen kleine weiße Wolken und unten am Hafen kommen in bunt gestrichenen Booten die letzten Fischer über das türkisblaue Meer vom nächtlichen Fang an den Sandstrand von Diakofti zurück. Ich sitze bei griechischem Kaffee, Dolmades, einigen Süßigkeiten und den herrlichen Trauben die ich gestern von einer alten Dame geschenkt bekommen habe auf der Terasse meines Hotelzimmers und denke mir: Dieser Tag ist eigentlich zu schön um zu Arbeiten…und doch es muss sein. Ich transkribiere also zwei Stunden lang die gestrigen Interviews und ziehe dann einen Stapel eingesammelter Tourismusprospekte aus meiner Tasche um sie auf Stereotype und Superlative zu durchsuchen…und ja, es stimmt:

Wer immer sich den von mir bereits im Ersten Beitrag dieses Features zitierten Werbespruch „eine Insel, eine Welt“ für Kythera ausgedacht hat, der hatte nicht nur einen sehr feinen Riecher für publikumswirksame Werbebotschaften in Zeiten des Cocoonings bewiesen, er oder sie hatte vielleicht auchein sehr feines Gespür für das Finden abgelegenster und schwer zugänglicher Orte auf dieser Insel, die diesen doch ein wenig nach Center Park, Mini Mundus und Legoland klingenden Werbeslogan einmal nicht Lügen strafen.

Die meisten Besucher – heutige, wie jene des 19. und frühen 20. Jahrhunderts – waren, als sie nach kleineren oder größeren Strapazen endlich die in zahllosen Mythen und Legenden versprochene Insel der Seligen, als die Kythera auch bekannt ist, erreicht hatten, vor allem eines – bitter enttäuscht.

Weder war die Insel ein irdisches Eden, noch ein überdimmensionales Bordell in dem der freien Liebe gehuldigt wurde, noch standen hier großartige Tempel oder üppige Gärten. Kythera war ganz einfach das, was es immer gewesen war, ein windumtoster, ziemlich trockener und öder Felsen, jenseits des –ebenfalls nicht eben einladenden – Arkadiens, direkt gegenüber des Eingangs zur Unterwelt (der liegt nur etwa 20 Seemeilen von hier entfernt am Fuße des Peloponnes).

Der Eindruck mag heute durch die überall wie Pilze aus dem Boden schießenden Luxusvillen der reichen Australo-Kytheraner und einige villenartige Privatappartmentanlagen etwas gemildert werden, Fakt bleibt aber, dass die Insel, abgesehen von sehr wenigen, sehr guten, vor allem aber immer bedrohten Zeiten nie über große Reichtümer, noch üppig blühende Haine noch über großartige Städte oder goldglänzende Bauten verfügte. Die allermeiste Zeit konnten die Bewohner der Insel froh sein, wenn die mühsam bewirtschaften Äcker, Gärten und Olivenhaine genug abwarfen, dass man davon einigermaßen leben konnte und keine Piraten oder fremde Besatzer die Dörfer und Scheunen plünderten. So waren, abgesehen von einer nie besonders großen und nie besonders reichen Oberschicht die meisten Bewohner einfache Landarbeiter und Bauern, die so garnicht dem entsprachen, was sich der klassizistisch verbildete Gutmensch und Bildungsbürger des 19. und 20. Jahrhunderts unter „edlen Griechen“ so vorstellte (und leider manchmal heute noch vorstellt…).

Liest man die garnicht so alten Beschreibungen, waren die Tsirigotes (so die Selbstbezeichnung der Inseleinwohner) von eher kleinem Wuchs und meist schon in jungen Jahren durch harte Arbeit an der Sonne und der salzigen Seeluft vorzeitig gealtert. Vor allem aber waren und sind die meisten von ihnen gute orthodoxde Christen, keine Hetären und erst recht keine Lustknaben (auch wenn das der eine oder andere venezianische Nobili oder englische Lord anders sah…). Kurz, wer hier sein irdische Gegenstück zum Illysium und/oder seine/n ganz private/n Aphrodite/Apollon suchte, der war an diesem Ort definitiv falsch und ist es meist heut noch (auch wenn es da gewisse Gerüchte um die Urlaubsbekanntschaften einiger jugendlicher Herren mit älteren und manchmal auch garnicht so alten Touristinnen gibt…aber bei welcher Tourismusdestination gibt es die nicht…).

Heutige Touristen sind da meist etwas aufgeklärter, haben vorher im Bedeker gelesen und sind nur noch ganz selten auf der Suche nach einem drittklassigen Bordell, wenn sie den Namen Kythera hören. Was bleibt ist die Suche nach dem irdischen Paradies, und wer darunter Ruhe, eine in weiten Teilen zwar karge, aber dennoch abwechslungsreiche Landschaft, einige kleine, aber wundervoll ausgemalte byzantinische Kapellen, stille Klöster, etwas in die Jahre gekommene Venezianische Festungen, verwunschene Ruinen, ein paar kleine Kaffees und Tavernen mit bodenständiger Küche und freundliche Menschen versteht, der ist hier – zumindest in der Nebensaison – ganz gut aufgehoben.

Kythera ist – noch – nicht der typische Yuppie-Treff wie Mykonos oder Santorini. Auch fehlt ihr die elitäre Abgehobenheit von Hydra, oder die Menschenmassen von Rhodos, Zypern oder Kreta (auch wenn’s im Sommer durchaus mal eng werden kann). Zwar genießt die Insel aufgrund der vielen reichen Exil-Kytheraner die hier im Sommer „Heimaturlaub“ machen und sich dafür anstatt der alten Bauernkate des Großvaters auch mal die eine oder andere Ferienvilla mit Ausblick gönnen, schon jetzt bei den Festlandsgriechen den zweifelhaften Ruf einer „Insel der Reichen und Schönen“, aber deswegen ist sie noch lange nicht ein zweites Ibiza oder Marbella.

Wenn man nicht eben im Juli oder August kommt ist Kythera eher ein verschlafen daliegendes Stück Felsen im Mittelmeer auf dem es sich dank des in der Diaspora erworbenen Reichtums und des in den letzten Jahren langsam anlaufenden Tourismus inzwischen auch recht gut leben lässt. Gerade in den Wintermonaten, wenn wegen des Sturms manchmal tagelang keine Fähre geht und der Strom gelegentlich für einige Stunden ausfällt, verläuft das Leben hier etwas ruhiger als auf dem Festland – wenn auch manchmal eher notgedrungen als freiwillig. Man muss in dieser Jahreszeit etwas Zeit mitbringen, bereit sein selber aktiv zu werden anstatt Rundumbespaßung zu erwarten und vor allem keine Angst vor dem Alleinsein, Ruhe, kurvigen Straßen, steilen Klippen und körperlicher Anstrengung haben. Manches geht hier eben nur zu Fuß und gutes Schuhwerk, gepaart mit Trittsicherheit und ein paar basalen Kletterkenntnissen sind gelegentlich auch ganz nützlich… Ist man dazu bereit, öffnet die Insel und ihre Bewohner einem auch und gerade in der Nebensaison bereitwillig Tor und Tür. Und was man dahinter oft an ganz unerwarteten Orten und etwas versteckt in einer Schlucht oder auf einem unzugänglichen Bergrücken findet lohnt allemal den Besuch.

Da sind zunächst die zahlreichen Grotten und Höhlen, die verwunchenen Schluchten mit ihren kleinen Bächen und Wasserfällen in denen im Oktober Trauben geerntet werden, die Bananenstauden in voller Blüte stehen und Gänse und Enten zusammen mit Fischen und geisterhaft bleichen Süßwasserkrabben in kleinen Teichen schwimmen. Da ist das raue, von Wind zerzauste und in strahlendes Heidekrautpurpur gehüllte Hochland, da sind die himmelhoch aufragenden Felsen und Klippen um die Bussarde und Raben ziehen und auf denen alte Wachtürme und neue Militärantennen stehen. Da sind die zahllosen, leider meist geschlossenen Kapellen (so langsam glaube ich es gibt mehr davon als Einwohner…) in deren Inneren sich, sofern man es fertig bringt den Schlüssel zu organisieren, oder zufällig zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort ist, die herrlichsten Fresken verbergen.

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Traumatischer Erinnerungsort – Paleochora

Aber da sind auch die dunklen Orte, wie die Ruinenstadt Paleochora. Glaubt man der lokalen Überlieferung geschah hier im Jahr 1571 Grauenvolles. Nachdem die den Ort umgebenden Schluchten bisher sämtliche Angreifer abgehalten hatten, hatte Chairedin Barbarossa – ein in osmanischen Diensten stehender algerischer Korsar (man könnte weniger nett auch von Pirat und Sklavenhändler sprechen), dessen Prunkgrabmal man noch heute in Istanbul bewundern kann – in diesem Jahr zum erfolgreichen Angriff auf die damals noch unter dem Namen „Agios Dimitrios“ bekannte Hauptstadt der Insel geblasen. Angeblich hatten die rauchenden Kamine der Stadt den Piraten ihre Lage verraten. Diese waren mit schwerem Geschütz auf die umliegenden Hügel gestiegen und beschossen nun aus vollen Rohren die Stadt. Es dauerte nur Stunden bis den ca. 1000 Einwohnern klar wurde, dass die mittelalterlichen Mauern keinen ausreichenden Schutz vor den neuzeitlichen Feuerwaffen bieten würden. Und so kam es, wie es kommen musste: Um nicht, wie ihre weniger glücklichen Mit-Insulaner, die die Piraten längst in den weniger gut geschützten Dörfern der Insel zusammengetrieben und als Menschliche Fracht auf ihre Schiffe verladen hatten, in der Sklaverei zu enden oder noch schlimmeres zu erleben,  stürzten sich die Überlebenden des Angriffs mitsamt ihren Kindern und Kindeskindern von den Zinnen der brennenden Stadt in den Tod. Die einst blühende Hauptstadt der Insel war mitsamt ihren Bewohnern ausgelöscht worden, und sie sollte nie wieder besiedelt werden.

Als Geistes- Migrations- und Medienwissenschaftler weiß man aus Erfahrung, dass solche Traumata Wunden hinterlassen, die nur sehr, sehr langsam heilen und für die die Menschen ihre ganz eigenen Erklärungen und Trauerrituale entwickeln. Auch auf Kythera war dies nicht anders. Glaubt man den älteren unter den Einheimischen, ist der Ort bis heute verflucht und die ruhelosen Seelen der Toten irren noch immer auf der Suche nach ihren verschwundenen Angehörigen in den Ruinen der einstigen Inselhauptstad umher. Auch wird erzählt, dass ihre Entsetzensscheie und Klagen noch immer durch die Schluchten hallen. Und Nachts würden über der Stadt und in den Schluchten kleine statt der üblichen Totenkerzen seltsame Irrlichter über den verstreuten und ausgebleichten Knochen der zahllosen Toten  Wache halten. Nach der Auslöschung der Stadt und ihrer Bevölkerung sei einfach keiner mehr da gewesen, der für die vielen hundert Toten und Vermissten beten und eine Kerze hätte anzünden können, so würden das die Toten selbst tun.

Auch wenn diese Legenden in den letzten Jahren zunehmend verblasst sind, und auch dieser im Gedächtnis der Kytheraner traumatische Erinnerungsort von findigen Tourismusmanagern zunehmend zu einer „Attraktion“ ausgebaut wurde, Auch wenn in den letzten Jahren mit ersten, nicht immer sehr fachgrerecht durchgeführten Sicherungs- und Renovierungsarbeiten begonnen wurde – Es soll es bis heute Kytheraner geben, die sich strikt weigern das alte Agios Dimitrios zu betreten. Die einen aus Respekt vor den Toten, die anderen aus Angst die Toten könnten sich für das angeblich mangelnde Interesse, das man ihnen in den letzten Jahrhunderten entgegenbrachte an den Lebenden rächen.

Auch wenn das alles in den Bereich der Legende gehört – wirklich geheuer ist mir der Ort auch nicht, vor allem nicht bei schlechtem Wetter oder gegen Abend. Auch ich bin ich jedesmal heilfroh, wenn irgendwoher ein paar Geisen oder ein paar verirrte Wanderer daherkommen und ich nicht ganz mutterselenallein mit den Toten durch die Ruinen streichen muss…Genausowenig kann ich mich auch mit dem neuen Touristenparkplatz und einer rabiat durch die Ruinen getriebenen Zufahrtsstraße anfreunden…Ehrlichgesagt, als Europäischer Ethnologe, Archäologe und Kunstgeschichtler, der durchaus auch etwas von Bauforschung und Denkmalpflege versteht, bin ich sogar ziemlich sauer auf die kytheranischen Behörden. Die Bauarbeiter, die die Ruinen als Touristenattraktion herrichten sollten waren offensichtlich nicht unbedingt gelernte Restauratoren (oder aber, sie haben einfach nicht gemacht, was man ihnen gesagt hat). Mit Sicherheit aber waren sie offensichtlich zu faul die schweren Zementsäcke per Schubkarre die paar Meter vom neu angelegten Parkplatz zu den Ruinen zu karren. Wie in Griechenland in solchen Fällen leider oft üblich, entschied man sich für einen einfacheren Weg. Man nahm einfach einen Bulldoser rammten damit durch die Pampa und machten dabei nicht nur die einheimische Flora und Fauna, sondern gleich auch noch die Ruinen der halben Vorstadt platt. Dass der ehemalige Provedittorenpalast jetzt aussieht als sei er bei einem Zahnbleaching gewesen ist da noch ein kleineres Problem, dass die Witterung in den nächsten Jahren hoffentlich korrigieren wird. Dass man aber das, was beim „restaurieren“ übrig blieb einfach neben eine der Kapellen gut sichtbar in der Landschaft entsorgt spricht für ein Ausmaß an Diletantismus wie er kaum zu Überbieten ist…

Vermutlich sind das nun aber wieder einmal die typisch abgehobenen Problemchen und Empfindlichkeiten eines „Geisteswissenschaftlers“. Wen interessiert es denn angesichts der aktuellen griechischen Finanzkriese schon noch, dass unter den umgestürzten Wänden und in den Schluchten des neu erkorenen Tourismusattraktion noch heute die Überreste der unglücklichen Bewohner einer ganzen Stadt liegen? Wer schwert sich schon darum, wenn man auf den Gebeinen der Toten einen Parkplatz baut und ein paar rissige Mauern abreißt und die restlichen mit etwas Zement aufmöbelt, damit die Touristen nicht stundenlang über Ziegenpfade hierher wandern müssen und „den richtigen Eindruck“ bekommen? (Und ja, der Ausblick ist atemberaubend schön) Ist es denn wirklich so schlimm, dass keine Hinweistafel auf das Schicksal dieses Ortes und seiner Einwohner hinweißt? (es gab einmal eine, die ist aber seit der letzten Restaurierung 2012 „verschwunden“ – vermutlich passte sie nicht mehr ins Konzept des hippen Ausflugsortes), und kein Kreuz, oder Denkmal an die Verschleppten und Toten erinnert. Ja es gibt – und hier bewahrheitet sich die Legende – an diesem Ort noch nichteinmal einen Bildstock oder ein ewiges Licht das für die Toten entzündet werden würde und ob in den vielen umliegenden Kapellen in den letzten 100 Jahren irgendjemand an sie, die sie einst erbaut und ausgeschmückt haben, jemand der verschwundenen Mütter, Väter und Kinder gedacht hat, die einst hier lebten – ich weiß es nicht. Auch sie liegen einsam und verlassen da, und nicht wenige von ihnen sind zu Ruinen verfallen oder dienen als Unterstand für die allgegenwärtigen Ziegen. Von den zwischen den Gebeinen der Toten (man findet sie mit etwas Anstrengung immer noch) ahnungslos picknickenden Touristen und den Gerüchten um neuerdings auch hier mit Metallsonden umherstreifenden „Hobbyarchäologen“, die die Ruinen nach übriggebliebenen Schätzen durchwühlen und dabei auch noch die letzen übriggebliebenen Mauern zum Einsturz bringen fang ich nun besser garnicht erst nicht an…

Auf der anderen Seite – wer sagt mir denn, ob die Toten von Agios Dimitrios über das ganze moderne Treiben so unglücklich sind. Zu ihren besten Zeiten war die Stadt ein Schmelztiegel aller Kulturen des Mittelmeerraums. Flüchtlinge und Zuwanderer aus Byzanz und Monemvasia, der Östlichen Ägais, von Zypern, Samos und Kreta und noch entfernteren Orten und Inseln hatten hier eine – vermeintliche – Zuflucht gefunden. Sie hatten ihre Kunst, Musik und auch einen Gutteil ihres Reichtums mitgebracht. Ihre unterschiedlichen Kulturen, Kunststile, Bau- und Lebensweisen verschmolzen im neu zur Hauptstadt der Insel aufgestiegenen Agios Dimitrios mit jener der Venezianischen Gouvaneure und Soldaten  zu einer ganz eigenen, schillernden und ungemein produktiven Lebensweise. Auf dem Schmalen Grat über den Schluchten fühlten sie sich alle sicher, bauten dutzende Kirchen und Kapellen, kleine Paläste, Mühlen und Werkstätten, Wohnhäuser und kleine, über dem Abgrund schwebende Gärten.

Leider war dieser kulturelle Blüte nur eine kurze Lebenszeit vergönnt, vielleicht 80, höchstens aber 100 Jahre, dann war Schluss. Wie so oft davor und danach kamen die Feinde wieder einmal übers Meer und Kythera, nicht eben arm an Ruinen, hatte eine Ruinenstadt mehr und war wieder einmal weitgehend verwüstet. Aphrodite, so sagen es bis heute die Alten, sei eine launische Göttin. Sie liebe ihre Kinder genauso überschwänglich, wie sie hassen und strafen könne…Aber es bliebe immer ein Band aus Liebe und Heimweh, dass die Weggegangenen und Verschleppten auf die Insel zürückziehe.

Für nicht wenige Kytheraner wurde diese Erzählung Wirklichkeit. Die Insel war zu karg, zu trocken, zu arm um ihre vielen, vielen Kinder ausreichend zu ernähren. Irgendwann zwischen dem 18. und Mitte des 20. Jahrhunderts sind viele von ihnen ausgewandert. Anfänglich noch in die Nähe: nach Smyrna, Alexandria, Venedig und Piräus, später als die Schiffe größer und schneller wurden immer weiter weg: nach Argentinien, die USA und Australien. Auf der Insel, die in ihren besten Zeiten gute 15.000 Einwohner hatte (von den angeblich 40.000 die sich hier auf der Flucht vor den Deutschen und Alliierten Truppen gegen Ende des II. Weltkriegs drängten ganz zu schweigen), leben heute mit etwas gutem Willen vielleicht 4000 Tsirigotes (so die Eigenbezeichnung der Kyhteraner, nach dem alten venezianischen Inselnamen „Cerigo“) noch auf der Insel. Ihnen stehen weit über 80.000 in der ganzen Welt verstreute „Landsleute“ gegenüber. Die meisten davon in Australien.

Und wie es die Geschichte von der Göttin der Liebe und ihren Kindern erzählt: vergessen haben die Weggegangenen ihre Heimat nie. Überall wo sie hinkamen erzählten sie von der Schönheit und dem Licht der Insel, gründeten Vereine und Organisationen, und hielten „geradezu halsstarrig“ an althergebrachten Gewohnheiten, Sitten und Bräuchen fest und heirateten lange Zeit nur Frauen von der Insel, die dafür um die halbe Welt reisten – Ein Grund, weshalb auf Kythera bereits um 1900 die ersten Fotostudios aufmachten…schließlich wollte man(n) in der Ferne wissen, wie „seine“ Tsirigotissa aussah, die ihm ein treusorgender Cousin oder Onkel nach Sydney, Kapstadt oder New York schickte. Und auch die eine oder andere Dame – immerhin eine Tochter der Aphrodite! – wollte nicht so einfach mit einem dahergelaufenen Nichtsnutz, der vielleicht auch noch schlechte Zähne und ein abstoßendes Äußeres hatte verheiratet sein. Nein…ein Photo gehörte einfach dazu. Außerdem war es oft die einzige Möglichkeit die Lieben in der Ferne an Familienfesten, neuen Erdenbürgern, Trauerfällen oder dem Stolz auf das in der Fremde neu erbaute Geschäft oder – und dafür waren die Kytheraner lange Zeit in der ganzen Welt berühmt – am neuen „Griechischen Caffee“ teilhaben zu lassen. Oft genug waren es allein diese heute verblichenen Photos, die denen die weg gegangen oder zurückgeblieben waren begreiflich machen, was aus ihren Liebsten jenseits des Meeres geworden war. Auf ihnen ließ sich in den Gesichtern der Dargestellten das Alter und die Zeit, seitdem sie fortgegangen waren nachzeichnen, in Form von Totenbildern gaben sie den Zurückgebliebenen die letzte Gewissheit, dass der andere nie zurückkehren würde und die Hoffnung, dass er an einem anderen, fernen Ort einen ruhigen, sanften und guten Tod gestorben war, und nicht etwa einem der „in der wilden neuen Welt“ häufigen wilden Tiere, einem Laster oder irgendeinem anderen Unglück zum Opfer gefallen und fern der Heimat in geweihter Erde beigesetzt worden war. Dort zeugte und zeugt oft genug auch heute noch eine auf eine Emailplatte gebrannte Kopie desselben Bildes als letzte Erinnerung davon, dass auch in Australien, Argentinien oder den USA Kinder der Aphrodite lebten. Gleichzeitig weckten diese Bilder die Sehnsucht: Die der Zurückgebliebenen auf ein besseres Leben in einem Fernen Land, und die der Weggegangenen nach der in ihren Erinnerung zum Paradies gewordenen Heimat. Beide Seiten begannen ihre jeweilige Welt so zu sehen, wie sie auf den Photographien dargestellt wurde, nicht so, wie sie wirklich war.

Und so war es oft eine bittere Enttäuschung, wenn der eine oder andere Nachkomme der Ausgewanderten auf „Heimaturlaub“ oder „Brautschau“ doch auf die Insel zurückkehrte. Kythera war kein irdisches Paradies, sondern eine kleine Felseninsel im Mittelmeer, deren Bewohner viel zu oft nicht wussten wie sie ihre vielen Kinder ernähren sollten. Wirklich gheändert hat sich das , von den wenigen Reichen abgesehen, die es immer gab und geben wird, für die breite Masse der Bevölkerung erst in den 1980er und 1990er Jahren. Und so war es Neben gelegentlichen Besuchen in der Alten Heimat, lange Zeit vor allem eines, das aus der „neuen“ in die „alte“ Heimat zurückkam: Das in der Fremde verdiente Geld der Migranten. Dieses hielt die Insel am Leben. Ermöglichte den Bau von Schulen, Museen, Krankenhäusern und Altenheimen. Nichts, aber auch garnichts hätte in Zeiten von Krieg, Bürgerkrieg und Diktatur ohne dieses Geld funktioniert. Ohne dieses Geld der Migranten hätte Kythera vermutlich das Schicksal vieler anderer einst dicht bevölkerter griechischer Inseln und Landstriche geteilt… Es wäre ein von Ruinen und verlassenen Feldern übersäter Felsen geworden, leer und von jeder Menschenseele verlassen…

Kytherian Outback

Doch es kam – Gott und den „Xeni“ (es wäre nicht ganz richtig dieses Wort mit „Fremde“ zu übersetzen…aber eben auch nicht ganz falsch – mit der Zeit und der halben Welt zwischen einem wurden Zurückgebliebene und Fortgegangene sich ja tatsächlich „fremd“, auch wenn sie das vielleicht garnicht wollten) sei Dank! – ganz anders, und neben ihrem Geld brachten die Kytheraner aus den Ländern in die sie ausgewandert und wieder heimgekehrt waren auch ganz andere Dinge mit. Zwar glaube ich immer noch nicht, dass sie wirklich Känguruhs und Emus auf der Insel ausgesetzt haben (ihre Nachbarn vom Peloponnes behaupten das manchmal schwerzhaft und nennen die Insel wegen der vielen Kythero-Australier auch „Känguruhinsel“) aber dass sie den ganzen Norden der Insel mit Eukalyptusbäumen bepflanzt haben stimmt. Würde dort nicht gelegentlich ein typisch griechischer Bildstock oder ein verwittertes Schild mit griechischen Buchstaben den Weg (nicht) weisen, man könnt emeinen, dass jenseits von Gerakari und Petrouni, nicht Griechenland, sondern  der ferne Australische Outback  läge, so sehr ähnelt die Szenerie aus Roter Erde und Eukalyptusbäumen dem Kontinent „down under“. Es ist daher nicht ganz zufällig, dass die Kytheraner diesen Teil der Insel (manchmal auch die ganze Insel) „Mikri Afstralia“ – „Klein Australien“ nennen, genauso, wie ihre fortgegangenen Cousins und Cousinen Australien manchmal im Scherz auch „Makro Kythera“ – „Groß Kythera“ nennen.

Wie immer bei „Geschenken“ waren aber auch diese nicht ganz unproblematisch. Nicht nur, dass der eine oder andere neureiche Kythero-Australier sich aufgrund des erworbenen Reichtums seinen daheimgebliebenen Verwandten überlegen fühlte und die Zurückgebliebenen nicht nur mit Dankbarkeit, sondern auch mit Neid und Miderwertigkeitskomplexen auf den offen zur Schau gestellten Reichtum ihrer Verwandten blickten – nein die gutgemeinte Ansiedlung des schnell wachsenden Eukalyptusbaumes, von dem man sich Bauholz und ein kleines Zusatzeinkommen erhoffte, brachte das sensible ökologische Gleichgewicht der Insel derart durcheinander, dass heute ernsthaft darüber nachdedacht wird, die „Bäume der Freundschaft“ wieder von der Insel zu entfernen. Nicht nur, dass sie hier aufgrund des ständigen Windes nicht richtig wachsen wollen, nein, sie trocknen mit ihrem immensen Wasserverbrauch auch die ohnehin durch den Klimawandel schwindenen Wasserreserven der Insel zusätzlich aus und stellen bei den hier alles andere als seltenen Buschbränden ein gewaltiges Problem dar, da ihre mit ätherischen Ölen gesättigten Stämme und Blätter wortwörtlich wie Zunder brennen und dazu führen, dass binnen kürzester Zeit ganze Landstriche in Flammen stehen – Noch allerdings kann sich niemand recht zu diesem Schritt durchringen – zu sehr stehen die Bäume für das gegenseitige Band zwischen der Insel und ihren nach Australien ausgewanderten Söhnen und Töchtern.

Es würde einfach etwas fehlen, wenn der charakteristische Geruch der silbergrünen Blätter nicht mehr die Nachmittagsstunden erfüllte…Ich wende meinen Wagen und fahre über erschreckend steile, meist unbefestigte und von tiefen Regenrinnen durchzogene „Straßen“ wieder Richtung Süden.

Auf dem Weg zurück „in die Zivilisation“ empfiehlt sich ein kleiner Zwischenstop in der heutigen Inselhauptstadt Potamos, allein schon, um nicht zu vergessen, dass es auf der Insel auch ganz reale und sehr lebendige Einwohner gibt. Der Kinderspielplatz neben dem großen, aber etwas schlecht zu erreichenden öffentlichen Parkplatz (irgendwie ist die Einfahrt etwas zu eng und zu steil geraten) ist ein Traum aus Kunstrasen und quietschbunten Spielgeräten, die nicht nur Elefteria und ihren Bruder Jannis, sondern auch die kleine Joselynn aus New York und den kleinen Thorben-Jonas aus Berlin glücklich machen.

Wer am Sonntag kommt, erlebt den Bauernmarkt. Sicher, alles hat seinen Preis, aber dafür bekommt man den herrlichen Singsang des lokalen Dialektes, der voller italienischer, arabischer, türkischer und natürlich vor allem griechischer Wörter steckt umsonst. Wer dann noch Lust auf einen Kaffee oder einen kleinen (oder, wie immer in Griechenland, einen etwas größeren) Snack hat kann es sich in einer der angrenzenden Kaffes und Tavernen gut gehen lassen – sorry Leutles, es nutzt nix, wenn ihr sagt ihr wollt nur etwas Kleines, der dreifachrahmige Honigjoghurt gehört als Gratisdessert einfach dazu, ob ihr jetzt platzt oder nicht, und außerdem MÜSST ihr, wenn ihr denn schon von soweit herkommt einfach noch die extra fettigen (es ist gutes Olivenöl!) zweifach fritierten Käseschnitten probieren…

Nein, Kythera ist kein Abnehmcamp, auch wenn man den ganzen Tag in den Felsen herumklettert, oder einem mal wieder bei einer besonders steilen Abfahrt mit dem kleinen Hundai der Angstschweiß auf der Stirn steht…schon garnicht weil meine Zimmerwirte offensichtlich der festen Meinung sind, ich wäre ganz kurz vor dem Verhungern und mir in treusorgender Zuneigung jeden Tag Obst, Gemüse und Kuchen bringen…aber sind es nicht gerade diese kleinen Gesten der liebevoll sorgenden Gastfreundschaft ein sicheres Zeichen dafür, dass hier noch nicht alles komplett durchkommerzialisiert ist. Und ist es nicht genau diese noch nicht komplett von ökonomischen Interessen geleitete Einstellung der Einheimischen, weswegen man die Insel immer wieder aufsucht?

Fragt sich, wie lange dies noch so bleiben wird…Erste Probleme gab’s schon in den 1990ern als die großen Kreuzfahrtschiffe anlegten. Kaum waren auf einmal 1000 Touris auf einmal auf der Insel, schon wurde jeder Ziegenhierte zum Immobilienspekulanten und in Hora und Kapsali begann das große foppen, neppen, hauen und stechen…jedenfalls so lange, bis es den Agenturen zu dumm wurde und von heute auf morgen keine Schiffe mehr kamen. Der Katzenjammer der touristenlos zurückgebliebenen Kytheraner war groß und nachhaltig, hoffentlich auch der Lerneffekt…Heute ist es eher das Geld der aus Australien und den USA zurückkehrenden Exil-Kytheraner und der Zustrom der wegen der Finanzkriese auf die Insel zuwandernden „Festlandskytheraner“ aus Athen und Piräus, der der Insel zu schaffen macht und das auf Maßhalten angewiesene, labile Gleichgewicht der Insel durcheinanderbringt.

Genug Probeme! Die Insel ist schön, und schon um die nächste Ecke wartet ein neues Wunder. Jedenfalls für die, die sich mit antiker Mythologie auskennen, und ein Faible für Räuberpistolen uns Sagen haben (als echter Volkskundler, Archäologe und Kunsthistoriker, der hier ganz nebenbei auch noch für seine Dissertation forschen darf, hab ich selbstredend für alle drei Dinge eine berufsbedingte Vorliebe!)

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Hier geht’s lang!

Und wenn geade sonst nichts los ist, gibt’s eben Sturm…irgendwann um kurz vor acht Uhr morgends fangen dann ein paar Männer draußen an laut rumzubrüllen, zu pfeifen und an die eine oder andere Tür zu klopfen…als erfahrener Nicht-mehr-ganz-Insel-Grünschnabel weiß man spätestens dann, dass nun wieder eine dieser unberechenbaren, mehr oder minder langen, und hochgradig unerfreulichen Überraschungen bevorsteht, oder schon eingetreten ist, die man als Einwohner des doch sehr perfekten Deutschlands nicht mehr wirklich kennt…Man schaut, noch leicht schläfrig aus dem Fenster, und da die Männer diesmal nicht zum Strand laufen (dann wäre irgendwas auf See passiert), sondern auf die Strommasten klettern, braucht man eigentlich garnicht mehr versuchen das Licht oder die Kaffemaschine anzuschalten…es ist – Aphrodite, Boreas, Zeus und Poseidon sei Dank – Stromausfall! Meistens dauert das dann nur ein paar Stunden und Abends ist die Welt dann wieder in Ordnung. Also kein Grund zur Aufregung, außer man muss an dem Tag Ab- oder Anreisen…meist fährt/oder fliegt nämlich dann auch nichts, weil a) Wellen zu hoch, b) Wind zu stark und c) kein Strom (letzteres muss nicht zwingend so sein, oft ist es nur die lokale Hauptleitung die mal wieder mit etwas Klebeband und Draht zum Laufen gebracht werden muss…)

Da ich aber weder vorhabe zu fliegen, noch mit dem Schiff zu fahren ist eigentlich alles halb so schlimm, Kaffee trink ich später einfach da wo’s noch, oder schon wieder Strom gibt, und die Haare trocknen bei dem Wetter zur Not schließlich auch so – und da mich eh den ganzen Tag kaum jemand sieht, muss ich danach auch nicht aussehen wie Brad Pit persönlich…

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Es war genau dieser Strand, genau diese Welle! ganz sicher!

Übrigens bin ich, nachdem ich mein Tagespensum an Arbeit erledigt hatte, gestern dann doch noch ganz in den Süden an den Strand von Paliopoli gefahren, habe mich auf den Thron der Aphrodite gesetzt und mir von dort aus in aller Seelenruhe den Sonnenuntergang angesehen, ja Feldforschung kann auch schön sein…

Giassas!

PS: Gerade lese ich, dass es hierher laut Werbeslogan nur „35 Minuten vom Athener Flughafen und 2 Stunden von Europa!“ sind…jeder mag sich jetzt selbst denken, was diese Worte für ihn bedeuten… 😉

Reise nach Kythera 2 – The island that differs

Geschenkte Trauben aus Amir Ali

Kythera ist anders…wer kennt nicht solche und andere Werbesprüche aus unzähligen Prospekten, Anzeigen und ökonomisch aufgeschlossenen Web-Blogs selbsternannter Lokalexperten.

Die Kytheranischen Tourismus- und Marketingexperten sind da keine Ausnahme. Die Insel ist nicht nur anders, sie ist, laut Aussage gut unterrichteter Web-Sites „one island, one world“ oder mindestens „the island of joy and beauty, a meeting point of nature, civilisation and love.“

Vermutlich geht es einfach keine Nummer kleiner, wenn es um die Privatinsel der Göttin Aphrodite (in Antiken Quellen nicht selten einfach „Kytheraia“ genannt) geht. Richtig gehört: Kythera nicht Zypern! Wer mehr dazu wissen will darf gerne hier nachlesen!

Wo genau die meerschaumgeborene greichische Liebesgöttin das Licht der Welt erblickte ist hier freilich genauso umstritten, wie andernorts. Jeder will ein bisschen vom Ruhm der Göttin abhaben. Fragt man die Einheimischen war es ganz gewiss der nächstgelegene Strand am Ende der Schotterpiste, gleich links neben dem eigenen Häuschen oder Weinberg. Und wenn’s der vom Nachbarn war…auch gut, Kythera ist schließlich überall schön, und weshalb sollte sich die freigiebige Göttin nur für einen Strand entscheiden…Darunte rauch der eine oder andere, an dem bis heute Schilder mit recht eindeutig, zweideutigen Hinweisen darauf hinweisen, dass hier nicht nur gelegentliches Nacktbaden üblich ist, sondern sich die Menschen in etwas abgelegeneren Ecken auch auf andere Weise näher kommen…Ich liebe diese Art von Humor der Kytheraner, die es fertig bringen, selbst bei der abgelegensten Kapelle mit Edding die Karrikatur eines deutschen Oberlehrers mit erhobenem Zeigefinger auf den dort bereitstehenden Mülleimer zu malen und damit ihre griechischen Landsleute und Urlauber zur ordnungsgemäßen Entsorgung ihres Mülls auffordern. Wer das ansonsten im Mittelmeerraum omnipräsente Phänomen des unbedacht in die Gegend geworfenen Mülls kennt, wird vestehen, dass bereits das Vorhandensein dieses Mülleimers, un der Fakt, dass dieser ganz offensichtlich auch regelmäßig geleert wird, ganze Bände über die Kytheranische Mentalität und die Liebe der Kytheraner zu ihrer Insel erzählt!)

Doch zurück zur Frage, wo denn nun diese Aphrodite – Göttin der Liebe und der Schönheit – GENAU dem Meer entstiegen ist. Befrägt man den offiziellen Reiseführer, so wird dieser einem als den ultimativ einzigen und wahren Geburtsort sehr wahrscheinlich den großen Sandstrand von Paliopoli oder den hinter der – von den Alten einfach nur „Kastri“ genannten großen Sandsteinklippe in der Mitte des langezogenen Strandes – gelegenen Strand von Limni nennen, und einen gleich auch noch darauf hinweisen, dass es in den Klippen einen Ort namens „Aphrodite’s Bath“ gibt. Die Erklärung für diese nach deutschen Maßstäben etwas ungenaue Ortsangabe liegt nun weniger darin, dass man nicht sehr genau wüsste wo man suchen sollte (dazu komme ich gleich noch), sondern darin, dass dieser Strandabschnitt – der größte auf der ganzen Insel – bisher touristisch recht wenig erschlossen ist und man sich für zukünftige Großprojekte schon mal einen publikumssichernden Wettbewerbsvorteil sichern möchte. Was könnte da attraktiver sein als der Geburtsort der Göttin der Liebe?

Dass damit wohl endgültig einer der letzten einigermaßen naturbelassenen Strände des Mittelmeers und mit ihm auch die inzwischen äußerst seltene lokale Unterart der Pankratiuslilie (die der Sommertourist in aller regel nicht sieht, da sie erst mit Beginn der Regenzeit, also Ende September/Anfang Oktober blühen) verschwinden wird…Nur ein weiterer Kolateralschaden auf der Liste der durch den globalen Massentourismus verursachten Zerstörungen.

Und wenn ich grade schon bei etwas zweifelhaften Entwicklungen bin: die inzwischen überall angebotenen „Liebeskiesel bzw. Kiesel der Aphrodite“ – kleine herzförmige Kieselsteine, die gefasst oder ungefasst an einigen kleinen Ständen auf den Wochenmärkten und im einen oder anderen Souvenirshop angeboten werden und die es an diesen Stränden besonders häufig geben soll – sind auch erst eine geschickte, und außerdem recht junge Erfindung einiger geschäftstüchtiger Ausländer (wenn ich recht informiert bin, war es eine auf der Insel lebende Deutsche, die auf die Idee kam). Die auf dem Beipackzettel zu diesen „Pretiosen“ gleich mitverkaufte, tourismusgerecht aufgepoppte Legende berichtet denn auch, diese Kiesel seien Reste des Meerschaums aus dem Aphrodite entstiegen sei. Macht man sich allerdings klar, dass es sich dabei dem antiken Mythos gemäß um ein Gemisch aus Salzwasser und dem Sperma und Blut des Uranos handelte, überlegt man sich dreimal, ob man solch ein Schmuckstück mit nach Hause nehmen will…Aber welcher Tourist kennt sich heute schon noch so gut in antiker Mythologie aus?

Begiebt man sich auf seiner Sucher nach der Göttin der Liebe weiter ins Gelände, wird man recht schnell auf verwitterte Schilder stoßen, die auf den sogenannten „Thron der Aphrodite“ hinweisen. Dieser befindet sich – anders als das meist unten am Strand herumliegende Schild vermuten lässt – etwas versteckt über dem Strand unmittelbar an der höchsten Stelle des Felsabbruchs der bereits erwähnten Sandsteinklippe. Überwindet man erst einmal seine in dem Gelände keinesfalls unberechtigte Angst vor den Hinterlassenschaften der Sommertouristen, Giftschlangen und Skorpionen und findet den etwas verwilderten Einstieg hinter der Klippe, kann man vorbei an ein paar mit durchlöcherten Plastikfolien abgedeckten antiken Grüften hinauf zum „Thron“ steigen…und hier beginnt auch schon das Problem mit diesem Strand, seinem Thron und der Aphrodite…In Wirklichkeit handelt es sich bei dem Gelände um nichts anderes als die traurigen Reste der antiken Nekropole Skandias, bzw. Paliopolis und der Thron der Aphrodite ist nichts anderes als der inzwischen überirdische Rest einer antiken Grabkammer. Mir ist es bis heute nicht gelungen herauszufinden ob das nun zwei Namen für den gleichen Ort, oder zwei nah benachbarte Orte waren…vermutlich lässt sich das Ganze auch nicht mehr so ganz beantworten, da heute entscheidende Teile der Orte fehlen. Warum? Nun…

Aufgrund des Tektonischen Wechselspiels unterschiedlicher Mikroplatten direkt vor der Südspitze des Pelopones ist Kytheras Untergrund alles andere als stabil. Wie auch auf dem benachbarten Kreta oder dem angrenzenden Festland sind auch heftigere Erdbeben hier alles andere als eine Seltenheit (im Durchschnitt gibt’s alle paar Jahre eines mit der Stärke 6-7, vereinzelt sind aber auch wesentlich stärkere Beben aus historischen Aufzeichnungen und geologischen Forschungen bekannt). Das eigentümliche daran ist, dass diese, obwohl die Insel vergleichsweise klein ist, an unterschiedlichen Orten sehr unterschiedlich stark ausfallen können – der Grund dafür ist, dass die Insel von zahllosen Spalten und Brüchen durchzogen wird und jede kleine Mikroplatte sich im Erdbebenfall mehr oder minder unabhängig von der anderen bewegt. In der Praxis bedeutet dies, dass ein Erdbeben auf der einen Seite der Insel ganze Ortschaften schwer beschädigen oder gar zerstören kann, während man es am anderen Ende kaum bemerkt…

Doch zurück zum „Strand der Aprhodite“…Der muss in der Antike komplett anders ausgesehen haben. Vermutlich gab es hier einmal – ganz ähnlich wie heute in Kapsali – zwei weite und durch eine weit ins Meer hineinragende Halbinsel voneinander getrennte Buchten, die – anders als heute – den Schiffen ausreichend Schutz vor den Gefahren der hohen See boten. Auf der Halbinsel, von der heute nur noch die reichlich angeknabberte Klippe von Kastri / Paliopoli übrig ist stand dereinst eine große und , ausgehend von den doch recht beachtlichen Gruften ihrer Bewohner, auch reiche Hafenstadt, die inzwischen durch Erdbeben, Erosion und wohl auch den einen oder anderen Tsunami komplett ins Meer gerissen wurde. Zwar nennt sich eine zwei Hügel weiter gelegene Appartmentsiedlung (bei deren Bau nicht unbedingt pfleglich mit den antiken Überresten umgegangen wurde) auch Skandia, jedoch war dies allenfalls eine Art Vorort des eigentlichen Stadtgebiets, dass heute im Meer versunken, bzw. von diesem „verschlungen“ wurde. Weiß man dies, ist auch eine andere Sache ist sicher, es war – wenn überhaupt – weder der heutige Strand von Limni oder der von Paliopoli, der den Geburtsort der Liebesgöttin bildete, sondern eine heute etliche hundert Meter weiter draußen im Meer gelegene Stelle. Alles andere ist Legende und gutes Tourismusmarketing, Sorry..

Es gehört zu den großen Tragödien der Insel, dass von der in den Antiken Quellen beschriebenen Pracht wenig übriggeblieben ist – und das wenige, dass gefunden wurde (so z.B. der Antikytheraapparat und der zugehörige Schatz hochrangiger Kunstwerke) heute meist in Athen oder anderen Orten zu sehen ist. Das wenige, dass sich heute noch auf der Insel befindet, steht im  Museum steht im nach einem Erdbeben 2006 leider noch immer geschlossenen Inselmuseum…eine Lösung dieser Missere ist zwar angedacht, wird aber aufgrund der aktuellen Finanzkriese wohl noch etwas auf sich warten lassen…

Es ist ohnehin eher die Party mit Verwandten und Freunden, die wie eh und je im Sommer die Menschen auf die Insel zieht. Insgesamt ungefähr 50 bis 80 Tausend,  darunter nicht wenige Nachkommen der zwischenzeitlich in die ganze Welt ausgewanderten Kytheraner. Dazu kommen noch einige Hundert Remigranten, die’s halb- oder Ganzjährig aus der Diaspora auf ihre „Heimatinsel“ zurückzieht, ca. 500-700 Albaner, die in den 1990er Jahren zugewandert sind und in Orten wie Frilingianika und einigen anderen Weilern inzwischen die Bevölkerungsmehrheit stellen und im Frühjahr und Herbst inzwischen auch einige Wanderenthusiasten, die die wilde Schönheit der Landschaft genießen und auf der Suche nach Ruhe, auch die abgelegensten Schluchten unsicher machen, oder sich mit ihren gemieteten Kleinwagen über abenteuerliche Schotterpisten kämpfen (Ein Allrad-Jeep wäre hierzu zwar besser als ein kleiner Hjunday, aber der passt hier einfach nicht überall durch…). Den Rest des Jahres haben die Einheimischen die Insel und ihre Sturmwinde fast für sich allein – ob das noch lange so bleibt, ist allerdings zu bezweifeln, der Tourismus legt in den letzten Jahren auch in der Nebensaison zu, und so wird die Insel in Zukunft wohl kaum noch der „Geheimtip“ sein, der sie gerade – noch – ist.

Noch allerdings dauert die Hauptsaison auf Kytehra nur vom 15. Juli bis 15 September. Dann sind alle Zimmer zwei und dreifach ausgebucht, die Autos stauen sich auf den kleinen Straßen, das Leben ist ein einziges großes Fest und überall tanzen die Menschen auf den beleuchteten Straßen (vor allem bei den großen Abschiedsfesten der Exil-Kytheraner um den 25. August herum). Außerhalb dieser Zeit kommt täglich nur eine kleine Propellermaschine und zwei, ebenfalls recht kleine Fähren, die aber mehr Kleinlastwagen mit Gütern des täglichen Lebens, als Menschen auf die Insel bringen.

Vielleicht – nein ganz sicher – liegt es an dieser noch relativen „Unbekanntheit“ der Insel, dass man gelegentlich von einer alten Frau, die gerade auf dem Heimweg von der Weinernte ist angehalten wird und mit einem strahlenden Lächeln eine ganze Tüte Trauben einfach so in die Hand geddrückt bekommt – geschenkt und einfach so. Nichteinmal den Berg nach Karavas hochfahren durfte ich die alte Dame samt ihrer Lastenkraxe voller Trauben. Auf mein Anbebot sie die paar Meter mitzunehmen meinte sie nur: sie sei diese Strecke ihr ganzes Leben lang geloffen, und werde es mit ihren 84 Jahren nun auch nicht mehr anders halten.

Vielleicht grüßen deshalb auch noch beinahe alle Bauern auf den Äckern und Wiesen jedes vorbeifahrende Auto (inklusive Touristen), vielleicht wünscht einem der Priester deshalb auch noch am Dorfbrunnen einen schönen Abend und segnet einen selbst und das Auto gleich vorsorglich in einer improvisierten Kurzzeremonie mit, vielleicht gibt es deshalb noch immer Menschen, die im Herbst das Salz aus den kleinen Felslöchern am Strand aufsammeln und aufwändig von Hand von kleinen Steinchen säubern (das Kytheranische Salz schlägt dabei meiner Meinung nach jedes noch so feine Fleur du sel um Längen!), und vielleicht ist es wirklich nur der kurzen Saison geschuldet, dass man bei der Heimkehr ins Appartment einen Teller mit Kuchen und frischen Feigen vorfindet und einem – obwohl man gerade mit gefühlten zwei Dutzend Einkaufstüten vom Mini-Supermarkt wiederkommt – der Zimmerwirt vor dem Schlafengehen „noch schnell“ einen Teller mit von seiner Frau gerade frischgebackener „Spinat-Pita“ vorbeibringt, damit man nicht verhungert (Gott behüte!)…

Ich selbst bilde mir aufgrund dieser Erfahrungen ein, dass sich Kythera in diesem Punkt wirklich von anderen griechischen Inseln unterscheidet. Die Menschen hier sind eben (noch) nicht nur am Geld interessiert. Ihnen ist wichtig, dass man sich bei ihnen wohlfühlt und sie freuen sich (noch) über jeden Fremden, die auf ihre Insel kommen. Vielleicht ist das ja das Erbe der göttlichen Aphrodite. Wenn ja, hoffe ich, dass es den Kytheranern und ihren Besuchern noch sehr, sehr lange erhalten bleibt und die Bewohner dieser Insel nicht die gleichen Fehler begehen, wie sie auf Santorin oder Mykonos passiert sind. Einmal zerstört ist diese Welt und ihre Art des Lebens und gegenseitigen Umgangs nicht mehr herstellbar.

PS: Für alle, die sich jetzt fragen, wo denn dieses Bad der Aphrodite liegt…nun auch da gibt’s zwei Varianten:

Die erste liegt am südlichen Ende des Strands von Limni an einer Stelle die heute im Allgemeinen Asprogas genannt wird…Richtig geraten, es sind die komischen Löcher und Durchbrüche im Fels am südwestlichen Ende des Strandes durch die die Gischt wie in einer Waschstraße spritzt. Und ja, es gibt tatsächlich Verrückte, die meinen da ein Bad nehmen zu müssen, trotz gefährlicher Strömungen, Hoher Wellen und scharfer Felsen…Aphrodite muss einen sehr guten Neoprenanzug besessen haben).

Die Zweite liegt am Lykodemos Strand am Ende einer ziemlich abenteuerlichen Abfahrt. Es ist jedoch nicht die am eigentlichen Strand gelegene Höhle, in der angeblich auch eine Süßwasserquelle vorhanden sein soll, die aber im Bestreben den Strand „aufzuwerten“ wie auch einige der umgebenden Felsen in den letzten Jahren mit einem hässlichen Zementboden ausgegossen wurde, so dass von der einstigen wilden Schönheit wenig übrig blieb. Die Höhle die ich meine ist etwas kleiner und befindet sich ein wenig abseits des Strandes inmitten der Klippe. Für Nicht-Einheimische ist sie beinahe unauffindbar, da sie weder von See noch von Land besonders gut zu sehen und zu erreichen ist. Aufgrund des alles andere als ungefährlichen Geländes und des für Fremde gerade an dieser Stelle nur sehr schwer einschätzbaren Wellengangs, warne ich daher hier ausdrücklich sich ohne einheimische Begleitung auf eigene Faust auf die Suche zu machen! Wer jedoch das Glück hat, jemanden zu finden, wird sich an einem der schönsten und ursprünglichsten Orte der Insel wiederfinden, dessen Schönheit allenfalls mit der großen Höhle auf der vorgelagerten Felseninsel Hydra oder den Wasserfällen von Mylopotamos nach einem kräftigen Frühlingsregen zu vergleichen ist. Der Eingang zur Höhle liegt versteckt zwischen scharfkantigen Klippen knapp über Seehöhe. Im Inneren findet sich bei ruhiger See ein kleiner Strand aus großen vielfarbigen Kieseln und um einen herum leuchten im Dämmerlich zerklüftete Wände aus bizarr ineinander verschlungenen, vielfarbigen Steinbändern. Das schönste aber ist ein vor dieser Höhle gelegener und durch einige Felsen geschützter, kleiner natürlicher Meerwasserpool in dem sich, bei windstillem Wetter (und nur dann!) herrlich inmitten einer bizarren Szenerie aus türkisblauem Wasser und schwarz-zerklüfteten Felsen baden lässt – für mich ist dieser Ort das eigentliche Bad der Aphrodite, auch wenn diese Höhle wohl erst in den letzten paar hundert Jahren von den hier bei starkem Westwind wild an die Küste schlagenden Brechern aus dem Kliff gebrochen wurde und damit deutlich jünger als die antike Sage sein dürfte.