Heimweg mit König und Irrlichtern

Guten Heimweg noch….Gerade stand man noch bebend verschwitzt inmitten vom vielfarbig lärmenden Siegestaumel gröhlender Fußballfans. Jetzt ist man allein und nimmt einen Umweg ins stille Zuhause. Ein rascher Entschluss, eine Änderung der Richtung, und es kommt, wie es kommen musste. Aufleuchtende Luchter, ein ebenso unaufmerksamer wie falschparkender Porschefahrer – genommene Vorfahrt, herumgerissener Lenker, ein schneller Fluch bevor man für Sekunden einfach nur noch kopflos funktioniert…

Es nichts passiert – diesmal – Mann atmet aus. Noch einmal Glück gehabt.

Es geht weiter durch enge Gassen. Man regt seinen Frust ab am unpassenden Orange der Straßenbeleuchtung und an nutzlos abgestellten Blumentöpfen und verlassenen Eisständen, deren einziger Zweck das Behindern des eigenen Fortkommens ist. Es funktioniert nicht das Abregen.

2014-06-23_000904Den aufgeheizten Gassen folgt über dem Fluss ein erstes Frösteln. In der Luft liegt  ganz amberschwer Duft von blühenden Linden vermischt mit der Nähe des ewigmodernden Ufers. Es ist dieser erdschwere Geruch, der das Eigene Innen beruhigt und es dauert nicht lang, bis auf die Allee ein Wald und ein Blumenbeet folgt. Ich halte an, steige ab, im Zwielicht der ersten Sterne leuchten die panaschierten Blätter blühender Funkien und Fingerhutblüten. Tagsüber gibt es hier Kinder und Greise, abends ganz bürgerlich Kiffer auf Bänken. Jetzt bin ich allein und lausche den sich schüchtern öffnenden Seerosenblüten. An der Sonnenuhr rechts eine Nachtigall, geradeaus ist die Klappe seit Jahren geschlossen.

Zurück über Brücken und Wald auf die Lichtung. Am Ende der staubigen Wiese das jugendlich bronzene Abbild des Märchenkönigs. War er verrückt oder nur seiner Zeit um Äonen voraus? Je nachdem entscheidet man sich für einen der Sinne. Schönheit oder knallhartes poltisches Kalkül? Wer einen Garten hat lebt schon im Paradies und Parkstiftungen sind stehts eine Sache mit langen Schatten. Majestät schweigen dazu wie die Sphinx, dazu gibt es Lächeln so herzlich und öffentlichkeitswirksam wie es nur bronzene Könige können. War es nicht hier wo Berganza auf ETA Hoffmann lauerte? Majestät wollen herab und ins nächtliche Fastdunkel.

Und dann sind sie plötzlich da, die kleinen grünen Irrlichter im Unterholz. Sie narren mit giftgrünerm Flimmern das unsicher folgende Auge. Ich schalte trenne die Lichter vom Drahteselleib und in meinen Ohren sind Acis und Galatea auch ohne den Polyphem glücklich. Ich lasse mich ins taulose Gras fallen, blicke nach oben und denke an einen Fernsehthemenabend über Japan. Eine der Hainvillenkatzen schleicht sich heran und verkriecht sich nicht schnurrend in meiner Kniekehle. Titania und Oberon brauchen kein Nachtlicht. Aus dem Off eine leise kulturverstehende Dokumaentationsmoderatorin. Sie vergleicht all die letzten noch lebenden Geishas mit nächtlichen Schmetterlingen. Man müsste das Licht der Moderne für einige Momente löschen wollte man ihre tiefere Schönheit erkennen…Ich frage mich, ob eine Meiko im heutigen Kiyoto nicht eher einem einsamen Glühwürmchen als einer Motte gleicht. Das letzte Aufleuchten einer entschwundenen Zeit, seltsam kalt und kraftlos aber gerade deshalb so faszinierend.

Die Katze geht weiter und Trauerweiden am Ufer wiederholen meine Gedanken. Blätterschwer geworden beugen sich ihre Äste zum Kuss mit dem Wasser. Es riecht nach Moder, Feuchte und Moos, vielleicht auch etwas nach rostigen Fahrrädern, Karpfen und Wallern, die einsam zwischen Schlingpflanzen und Sandbänken am Flussgrund stehn. Ein nächtlicher Jogger huscht lichtlos vorbei und verbreitet Erschrecken. Ich fange mich kurz und bin froh um zwei flackernde Teelichter am Ufersaum. Das zugehörige Liebespaar hat sich zu wichtigeren Dingen in die Büsche zurückgezozen. Ich gehe vorbei und beginne zu lächeln, froh, dass es zumindest für diese beiden im Moment wichtigeres gibt als Torschützenkönige und Gewinnstatistiken.

 

 

Summertime…

Summertime

Summertime

Summertime and the livin‘ is easy„, so steht es  im von Heyward DuBose verfassten Libretto der 1935 von George Gershwin komponierten „American folk opera“ Porgy and Bess…

Ich hingegen konnte den Sommer trotz, oder vielleicht gerade wegen der diversen geistigen Aussetzer falschbrüstiger Wettermoderatorinnen, welche im Privatfernsehen schon Ende Februar von Sommer, Party, Sonneschein faseln und einem einen dringend Kurztrip an die türkische Riviera zum „Sonnetanken“ empfehlen noch nie ab. Es ist heiß, man schwitzt und eigentlich möchte man sich für vier bis fünf Monate im Jahr nur noch ins nächste Baggerloch oder auf den Vatnajökull verziehen. Ja, es ist eben ein echter Eiszeit-Neandertaler an mir verlorengegangen ;-).

Manchmal gibt es sie dann aber doch, die lauen Sommerabende an denen langsam die Sterne aus dem graublauen Nachthimmel auftauchen, das Temperaturniveau wieder auf ein menschenwürdiges Maß sinkt, der Mond durch die Zweige des Apfelbaums spickt und im Nachbarsgarten eine Nachtigall mit ihrer Galavorstellung beginnt. Dann schnappe auch ich mir ein paar Lampions, und – je nach Temperatur – ein gutes Glößchen Vino Nobile aus Montepulciano, einen Rosé aus Sancerre oder doch einen furztrockenen Chablis, setze mich in meinen begrünten Innenhof, ziehe mir Händel, Porpora oder eben auch die gute alte Ella Fitzgerald rein (ich liebe die Berliner Aufnahme mit dem the Tee Carson trio von 1968!) und genieße mein ganz privates „summer feeling“.

Summertime,
And the livin‘ is easy
Fish are jumpin‘
And the cotton is high…

The first tulip

Papageientulpe

Papageientulpe

Im Privatmuseum der unnützen Dinge blüht eine Papageientulpe aus zwei Tage alten blauen Flecken mit grau-gelblichen Striemen auf blutrotem Grund über kränklichem Grün;

Der Strauß wird zum Blatt und zum Jugendstiltraum.

Ich blicke schnell weg und die Logik des Netztes schlägt frühlinsghaft vor:

Samenspende für reproduktionsgeschwächte Paare versus Altrose als neuer Trend.

Im Hof streiten Windlicht und Vollmond um Platz.

Von den Wänden fällt Putz.

20. Türchen: Bereite Dich Zion…

Weihnachtscloud

Ich stehe auf dem Grünen Markt, vor mir Rauchbierglühwein und ein altertümliches Griebenschmalzbrot. Schüler ziehen lärmend an mir vorbei. Es ist Weihnachts-Sale-Zeit.

Aus einem abgestellten Sprinter dringt Musik: Bach, Weihnachtsoratorium, 1. Teil. Nicht unbedingt die übliche Lieferanten-Mucke…Ich höre hin, denke an Kinderchöre und mit riesigen Weihnachtsbäumen geschmückte Kirchenräume. Dann erkenne ich eine Arie:

Bereite dich, Zion, mit zärtlichen Trieben,
Den Schönsten, den Liebsten bald bei dir zu sehn!
Deine Wangen
Müssen heut viel schöner prangen,
Eile, den Bräutigam sehnlichst zu lieben!

Ein seltsamer Text, den viele nicht verstehen und der, wenn sie denn ehrlich sind, bei den meisten alles andere als weihnachtliche Assoziationen weckt. Zärtliche Triebe, geschminkte Wangen, Sehnsucht, der Liebste den es zu empfangen gilt…das Ganze klingt wirklich eher nach verunglückten Rosamunde-Pilcher-Roman als nach einem Text, der auf die bevorstehende Geburt Christi hinweisen soll.

Ich weiß nicht mehr ob es einer meiner (inzwischen garnicht mehr so kleinen) Cousins oder eine der Großtanten war, die vor einigen Jahren beim Hören einer Pop-Version dieser Arie entgeistert den Sender wechselten und meinten die Texte der Weihnachtslieder würden auch immer seltsamer.

Auch ich wusste lange nicht, was mit jener seltsamen Zion die sich mit zärtlichen Trieben auf ein Stelldichein mit ihrem Bräutigam vorbereiten soll so genau gemeint war.

Erst in einer Weihnachtsnacht 1997 wurde mir klar, was das Lied bedeuten sollte.

Ich hatte den ganzen Tag damit verbracht im Jerusalemer Suk ein paar Weihnachtsgeschenke und den Weihnachtsbraten abzuholen. Schließlich fand ich im armenischen Viertel einige hübsch bemalte Tonschüsselchen. Der Braten war eine heiklere Sache. Kamel, und wie sich später herausstellte das perfekte Fleisch für schwäbischen Rahmsauerbraten!

Nachdem wir in der Küche 60 Semmelknödel und riesige Berge von Spätzle, Gemüse und Kartoffelbrei produziert hatten, schmückten wir einen Wacholderbusch. Niemand störte, dass er genauso zerzaust aussah wie wir.

Irgendwann saßen wir glücklich, satt und leicht ermüdet im Refektorium und ließen uns nach der Mitternachtsmesse ein paar selbstgebackene Weihnachtsbrötchen und frischen Kaffee schmecken. Es war herrlich!

Ich weiß nicht mehr wer mir dann sagte, dass ich, wenn ich wollte, einer halben Stunde mit zur Geburtsgrotte nach Betlehem aufbrechen könnte. Man würde hinabwandern um dort den Rest der Heiligen Nacht zu verbringen. Eine alte Tradition des Collegs.

Ich dachte nicht lange nach, holte meinen Mantel, packte Schal und Handschuhe und trat mit etlichen anderen hinaus in die Nacht. Es war ruhig, vom Toten Meer blies ein leichter Wind und wir marschierten los. Drei Stunden später erreichten wir das winzige „Tor“ der Geburtskirche. Keine Grenzkontrollen, keine Soldaten, keine protestierenden Palästinenser, nur ein kurzes Lächeln…es war fast ein kleines Weihnachtswunder.

Wir gingen durch den verwahrlost wirkenden Kirchenraum. Auf dem Boden lag Staub, und die Farbe blätterte von den Wänden. Das berühmte Mosaik mit der Darstellung der heiligen Drei Könige war trotz Neonbeleuchtung unter einer dicken Schmutzschicht nur undeutlich zu erkennen. Man musste glauben, dass es immer noch dort war.

Vor dem Altar führten eine schmale Treppe in die Tiefe. Unten angekommen empfing uns der auf- und absteigende Gesang einer äthiopischen Nonne. Der Ort glich in nichts dem, was man sich bei uns unter Krippe und Stall vorstellt. Eine niedrige, dunkle Grotte, vielleicht 12 Meter lang und 4 Meter breit. Der nackte Fels war nur notdürftig mit abgewetzten Brokatvorhängen verdeckt. Auch hier hatte niemand die rissigen Fließen aus fleckigem Marmor gewischt. Der gleiche, feine Staub, der uns auch draußen durch die Felder begleitet hatte.

Es dauerte, bis ich neben dem Eingang einen kleinen Marmortisch entdeckte auf dem eine goldgefasste Ikone etwas windschief abgestellt worden war. Ich ging hin, und sah darauf genau den Ort abgebildet, an dem ich mich befand. Eine kleine Grotte mit einigen Tieren, darüber einige erschreckte Hirten die nach oben blickten. Die Frau und den verschämt in einer Ecke stehenden Mann sah ich kaum, auch die Krippe mit dem Kind war so klein, dass sie kaum auffiel.

Genauso war es mit dem kleinen silbernen Stern der unter dem Tischchen in einer Nische in den Boden eingelassen war. Um ein Haar wäre ich auf die Stelle getreten und es brauchte denn auch einen Hinweis meiner Begleiter, dass sich genau unter mir die Stelle befand, an der Jesus geboren war.

Irgendwann erschienen einige Franziskaner-Nonnen, beteten und sangen…

Oh Du fröhliche…

Ich war angekommen.

Erst als wir im ersten Morgenlicht des Weihnachtsmorgens aus dem engen Einlass der Kirche hinausgetreten waren wurde mir klar, dass ich genau das gemacht hatte, was in der seltsamen Bacharie beschrieben ist. Wir hatten freudig den Weihnachtstag vorbereitet, waren durch die Nacht vom Berg Zion hinab nach Bethlehem gelaufen und hatten hier die Ankunft des „Bräutigams“ gefeiert.

Heute steht zwischen Jerusalem und Bethlehem eine 12 Meter hohe Mauer aus Beton. In den Straßen der „kleinsten unter den Städten Juda“ kann man kleine Krippen aus Olivenholz kaufen, auch sie durch eine Reihe klobiger Holzklötze geteilt. Die Krippe mit dem Kind auf der einen, die Hirten und die heiligen Drei Könige auf der andern. In der Krippe man kann die Olivenholzklötze herausnehmen, wenn man es nicht mehr aushält…Mit der echten Mauer geht das leider nicht so einfach.

Winternacht

Winternacht

Konsumterrorgeschädigt durch Nacht,

an Füßen zieht überfrierender Glühwein ,

schmelzende Schneekristalle auf meinem Fuchspelzkragen.

Ich träume von Armut gelangweilt und lächle Pfandflaschen in Designertaschen!

– übel wird schief mir –

ich fürchte die Welt läuft Reserve.

Vor dem Fenster ein hungriger Vogel,

Tzatzikiprofiterol und Kerzenscheinlebkuchen an süßem Senf,

die Nachbarskatze grinst hinter ihm.